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Kitsch as kitsch can

Die heitere und reine Luft der Schönheit und dumpfe Räume mit Hirschgeweihen: Leander Haußmann inszeniert am Berliner Ensemble Shakespeares Sommernachtstraum, Staffan Valdemar Holm am Deutschen Theater „Was ihr wollt“

Manchmal muss man mit der Theatergeschichte kommen. Besonders, wenn sich so explizit darauf bezogen wird wie Mittwochabend im Berliner Ensemble, wo Leander Haußmann Shakespeares „Sommernachtstraum“ inszeniert. Den Wald, wo Shakespeares Paare sich verlaufen, hat Haußmanns Bühnenbildner Paul Lerchbaumer auf eine Drehbühne gebaut. Ein romantisches Kulissendickicht aus Baumstämmen und Büschen, durch das gelegentlich Nebel wallen und Blütenblätter schwirren. Erfunden hat diesen Drehbühnenwald einst Max Reinhardt, dessen „Sommernachtstraum“ 1905 am Deutschen Theater damit auch das moderne Regietheater erfand. Angeödet von der Tristesse des Naturalismus wollte er die Zuschauer in eine „heitere und reine Luft der Schönheit“. Doch seitdem sind fast hundert Jahre vergangen, und die Luft der Schönheit ist ziemlich dünn geworden. Nicht nur um den Wald , auch um den Fortbestand der Liebe muss man sich ernste Sorgen machen und um das Theater sowieso.

Für all diese bedrohten Arten legt sich Leander Haußmann ziemlich ins Zeug. In langen vier Stunden kann man ihm bei seinen Wiederbelebungsversuchen zusehen. „Ich will nicht scheitern!“, hört man dabei sein Alter Ego auf der Bühne, den Regiehandwerker Squenz (Norbert Stöß) händeringend rufen. Mit einer Truppe grotesker Handwerker versucht der, im Wald die Liebesgeschichte des antiken Paares Pyramus und Thisbe einzustudieren. Angesicht der fatal unpassenden Physiognomien seiner Hauptdarsteller muss man allerdings um den Erfolg des Unternehmens fürchten. Liebhaber Pyramus ist eine Spur zu spirrig, der Darsteller der Thisbe ein plumper Fleischberg und zu allem Überfluss auch noch ein Mann.

Erst am Ende geschieht ein Wunder. Zettel beziehungsweise David Bennent rettet mit seiner Darstellung des sterbenden Pyramus nicht nur die Liebe im letzten Moment. Und Michael Rothmann spielt die Geliebte Thisbe so schön, dass man das groteske körperliche Missverhältnis zwischen Wirklichkeit und Illusion völlig vergisst. Insgesamt aber gönnt uns Leander Haußmann keinen Zauber: von Eros keine Spur. Die vier über Kreuz Verliebten Hermia (Katja Danowski), Helena (Annika Kuhl), Demetrius (Matthias Walter) und Lysander (Boris Jacoby) sehen aus wie WG-Bewohner. Wie es um die Liebe steht, zeigt Elfenkönig Oberon (Roman Kaminski), der seine Frau Titania (Cornelia Heyse) per Zauberkraft zum Sex mit Zettel zwingt, der in einen Esel verwandelt ist.

Der letzte Ausdruck der Schönheit ist der Kitsch. Auch das führt uns Haußmann vor und gefriert den Zauberwald immer wieder zu Bildern: Max Reinhardt meets Jeff Koons. Das Publikum reagiert jedes Mal pawlowgemäß mit Szenenapplaus. Nur die Kritiker gießen am Tag drauf böseste Häme über die Inszenierung aus. Selbst wenn die Gags manchmal etwas serienmäßig vom Band laufen, Katharina Thalbach als nosferatuhafter Puck ein bißchen zu eindimensional knarzte – das hat Haußmann nicht verdient.

Auch am nächsten Tag sind wir im Deutschen Theater mit den Trümmern der Liebe beschäftigt, wo der junge schwedische Opern- und Theaterregisseur Staffan Valdemar Holm den letzten Shakespeare dieser Woche – „Was ihr wollt“ – inszeniert. Frierend steht die junge Viola (Anika Mauer) an der Küste Illyriens, das einmal Shakespeares Inbegriff für das Reich der Sinne war. Als sich der Vorhang hebt, guckt man in ein muffiges Zimmer, an dessen Wänden Hirschgeweihe hängen. Ein paar Musiker mit Filzhüten schrammeln schreckliche Melodien. Herzog Orsino (Ingo Hülsmann) schießt mit dem Schrotgewehr ein Geweih von der Wand und brüllt den berühmten Was-ihr-wollt-Satz: „Wenn die Musik die Liebe nährt, spielt bis zum Exzess!“ In dieser Welt, die Ausstatter Bente Lykke Möller an den Anfang des 20. Jahrhunderts verlegt hat, bleibt die Liebe unterernährt.

Zwar liebt der Herzog die Gräfin Olivia (Regine Zimmermann), doch diese liebt Cesario, hinter dessen Maske die verkleidete Viola steckt, die den Fürsten liebt. Mit marthalerscher Langsamkeit lässt Holm die Komödie als naturalistisches Drama spielen. Die Bühne dreht sich, so dass man abwechselnd in Olivias oder Orsinos Zimmer sehen kann. Eine Truppe satter Randfiguren (Dieter Mann, Horst Lebinskiy, Steffi Kühnert, Maximilian von Pufendorf und Oliver Bäßler) macht zwischendurch Späßchen. Liebe macht einsam. Selbst bei intensivstem Körperkontakt findet kein Erkennen statt.

ESTHER SLEVOGT

„Sommernachtstraum“ wieder am 9., 10., 21., 22. Februar im BE; „Was ihr wollt“ wieder am 10., 14. 15. Februar am Deutschen Theater

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