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Der ewige Schnee ist aus Plastik

Die besten Skifahrer messen sich in Salt Lake City – in Berlin üben die Anfänger in einer Pankower Halle

In der Straßenbahn ist eigentlich alles wie immer. Die Gesichter sind unfreundlich, die Taschen dick bepackt. Es war der letzte Tag des Winterschlussverkaufs. Haltestelle S-Bahnhof Pankow: Von hier aus sind es nur noch ein paar Meter zu Berlins einzigem Gletscher. Doch wo sind sie, die wintersportbegeisterten BerlinerInnen? Kein Mensch hat Skistiefel an, niemand wuchtet sein Snowboard über den Bürgersteig. In Salt Lake City laufen die ersten Wettbewerbe. Ist er auch in Berlin zu spüren, der olympic spirit?

Durch eine Lücke in der Häuserfront an der Berliner Straße ist eine Fabrikhalle zu sehen. Große Lettern weisen dem Alpinsportler den Weg: „Gletscher – die längste Skipiste der Welt“. Durch eine kleine Tür geht es in die große Halle. Es ist laut. Skifreunde denken an das Geräusch von Pistenraupen. Doch es ist der Lärm der Motoren, die ein Kunstrasenlaufband antreiben. Der ewige Schnee in Pankow ist eine weiße Kunststoffbahn.

„Die Umgebung ist sicher gewöhnungsbedürftig“, meint Dirk Kotoll, Skilehrer und Besitzer des Pankower Skigebiets. Wer sich die Bretter anschnallt und losfährt, schaut auf eine gelb getünchte Betonwand: Berliner Kunststeingebirge. Ein mäßig begabter junger Mann übt sich im Stemmbogen: im Pflug und die Kurve, dann den Bergski nachziehen, so dass er parallel zum Talski steht. Er wird noch lange brauchen, bis er eine gute Figur auf der Piste machen wird. Um sich olympische Hoffnungen machen zu können, ist er ohnehin schon zu alt. Es sei denn, er würde für die Mongolei an den Start gehen oder für Moldawien. Auf diese Idee sind schließlich schon ganz andere gekommen.

Die zwei Kinder im Grundschulalter, die nach dem jungen Mann unterrichtet werden, hätten dagegen noch alle Möglichkeiten. Sie stehen erstmals auf Skiern. „Nein, mit Wintersport haben wir gar nichts am Hut“, sagt die Mutter der beiden. Mit dem „Super-Ferienpass“ kann man eine verbilligte Übungseinheit buchen. In den Winterferien waren sie an der Ostsee. „Das ist auch besser so“, meint die wenig begeisterte Schnupperalpinistin. Immerhin ihren Kindern hat es Spaß gemacht. Vielleicht schauen sie sich ja die alpinen Rennen am Salt Lake im Fernsehen an, auch wenn sie bis jetzt den Namen Stefan Eberharter noch nie gehört haben.

Hallenchef Kotoll kennt den Namen des dominierenden Skifahrers dieser Saison natürlich schon. Der Brandenburger hat acht Jahre als Skilehrer im Zillertal gearbeitet und drückt dem Tiroler „Steff“ die Daumen bei Olympia: „Ein bisschen Patriotismus muss schon sein.“ Kotoll bringt die alpine Note ins urbane Skigebiet. Statt „wa“ sagt er „gell“, sein Gesicht ist Piz-Buin-gebräunt und im Umgang mit der talentfreien Blondine, die seiner Ansicht nach Skifahren nur ihrem Mann zuliebe lernt, ist er genauso charmant, wie man es sich von einem Skilehrer eben vorstellt.

Während die Frau erste Pflugbögen auf dem Plastikidiotenhügel macht, probiert ihr Mann sich auf dem Snowboard. Sie wirken sehr bemüht. „Wir verstehen und in erster Linie als Ski- und Snowboardschule“, sagt Kotoll. Wer Fun will, ist in Pankow fehl am Platz. Hier wird Wintersport gepaukt. Freies Skifahren gibt es auf dem Gletscher nicht, es darf nur unter Anleitung gefahren werden. Der Großteil der Hallenfahrer nutzt die Kurse, um sich fit zu machen für den Skiurlaub.

Eine junge Frau sitzt in Skistiefeln am Laufbahnrand. Im Mai fährt sie das erste Mal in ihrem Leben für eine Woche zum Skifahren. Eine Kursstunde hat sie schon hinter sich und noch jede Menge Respekt vor den Brettern. Den Urlaub hat ihre Freundin organisiert. Sie selbst hat sich nie für Skifahren interessiert. Ob sie die alpinen Rennen bei Olympia verfolgt? „Ja, aber nur Biathlon.“ Der alpine olymic spirit ist in Pankow noch nicht angekommen. Urbaner Skisport ist eben keine olympische Disziplin.

ANDREAS RÜTTENAUER

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