: Live vom Milošević-Prozess
Der serbische Diktator steht vor Gericht – und die ganze Welt, vor allem der Balkan, schaut zu. Im Vergleich zur international stets gleichen TV-Einheitsübertragung aus dem Haager Tribunal ist das Internet aber die umfassendere Informationsquelle
von ROLAND HOFWILER
Das erste mediale Großereignis auf dem Balkan seit über zehn Jahren ist kein Fußballspiel, kein Rockkonzert, keine Unterhaltungsschow. Es ist die Live-Übertragung aus dem UN-Kriegsverbrechertribunal zum Prozessauftakt gegen den serbischen Diktator Slobodan Milošević. Heute gegen 9.30 Uhr schalten fast alle TV-Sender und einige Radiostationen des ehemaligen Jugoslawiens live nach Den Haag, in die Churchillplein 1, direkt in den Gerichtssaal I zum Verfahren mit der Aktennummer IT-02-54. Was die Zuschauer zwischen Ljubljana und Skopje dann allerdings zu sehen bekommen, ist in Bild und Ton das Gleiche, was in Deutschland über Phoenix-TV und weltweit über die Sender CNN und BBC-World über die Bildschirme flimmern wird.
Nur eine einzige Bild- und Toneinstellung wird es während der gesamten Prozessdauer geben, aufgenommen von einem Fernsehteam des Tribunals. Wie schon bei früheren Kriegsverbrecherverfahren ist das Filmen und Fotografieren im Gerichtssaal strengstens verboten, auch schon vor der Verhandlung. Scharfe Sicherheitsvorkehrungen sollen jeden Journalisten von dem Versuch abschrecken, auch nur ein kleines Diktiergerät in der Hosentasche ins Gebäude hineinzuschmuggeln. Pro Verhandlungstag dürfen gerade einmal 89 Medienvertreter das Geschehen live von der Zuschauertribüne aus mitverfolgen, die große Schar muss draußen bleiben und wird über Großwandbildschirme im nahe gelegenen Pressezentrum informiert – wie die Fernsehzuschauer weltweit.
Das Internet bietet auch in diesem Fall die bei weitem umfangreichste Informationsquelle mit Hintergrundberichten, Interviews und Live-Übertragungen. So findet sich schon auf der Homepage des UN-Tribunals neben allen Prozessdokumenten die Möglichkeit, per Live-Streaming das Milošević-Verfahren in Bild und Ton mitzuverfolgen, in Englisch oder Französisch (www.un.org/icty/latest/index.htm). Wer der Verhandlung in serbischer, bosnischer, kroatischer oder albanischer Sprache lauschen möchte, dem sei das Netzwerk der niederländischen Alternativbewegung „xs4all“ zu empfehlen, das schon seit Jahren auf einer Sonderseite die Arbeit des Kriegsverbrechertribunals dokumentiert (domovina.xs4all.nl/bcs/index.html).
Mit sehr viel Aufwand und qualitativ anspruchsvoll hat die BBC im englischen Dienst mehrere Seiten aufgebaut, wo man eigentlich alles über Milošević und die Kriege auf dem Balkan erfährt. Dort wird in den kommenden Tagen der Prozess ebenfalls über eine „Live-Coverage“ in voller Länge übertragen. Leider versäumte es die BBC, ein ähnliches Angebot auch auf den Webseiten in den Landessprachen des ehemaligen Jugoslawiens einzurichten. Das Gleiche gilt für die Deutsche Welle mit ihren zahlreichen Balkan-Internetseiten.
Wie kaum anders zu erwarten war, werden sich vor allem serbische, albanische und bosnische Internetfreaks in den kommenden Monaten einen erbitterten Kampf bei der Aufarbeitung der Kriegsgräuel über ihre Internetseiten liefern. Es bleibt nur zu hoffen, dass dabei keine unlauteren Mittel angewandt werden, wie während des Nato-Luftkrieges im Frühjahr 1999, als serbische und albanische Hacker wochenlang die Homepage der jeweils anderen Seite zu zerstören trachteten. Hin und wieder einen Blick auf Milošević’ eigene Internetseite zu werfen, kann vielleicht noch amüsant werden. Bislang erfährt man auf der Homepage jedoch noch nicht einmal, dass der Großmeister des Krieges schon seit geraumer Zeit als prominenter Häftling auf seinen Prozess wartet (www.sps.org.yu/ljudi/smilosevic.html).
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