: „Neue Stufe“ der Intifada
Israelische Militärs sind über die neuen palästinensischen Kassam-Raketen beunruhigt. Mit ihnen können Orte nahe der Grenzen zum Autonomiegebiet erreicht werden. Die Armee erwägt weitere Invasionen entlang der „grünen Linie“
aus Jerusalem SUSANNE KNAUL
Eine „neue Stufe“ der Intifada nannte Israels Verteidigungsminister Benjamin Ben-Elieser den jüngsten Raketenbeschuss aus Gaza. Am Sonntag schossen Palästinenser zwei so genannte Kassam-2-Raketen ab, von denen eine in der Nähe eines israelischen Kibbuz einschlug. Verletzt wurde niemand.
Gestern veröffentlichten israelische Zeitungen Landkarten, auf denen die Reichweite der palästinensischen Rakete eingezeichnet war. Aus Armeekreisen wurde Beunruhigung über die neue Kampfstrategie der Palästinenser laut, für die man „keine militärische Antwort“ habe. Ben-Elieser drohte Maßnahmen an, um weitere Raketenbeschüsse zu vereiteln. Gesucht wird vor allem nach den Produktionsstätten der offenbar leicht zu konstruierenden Raketen. „Wenn Raketen Zivilisten im Zentrum israelischer Städte bedrohen, kann man nicht zur Tagesordnung zurückkehren“, meinte Ben-Elieser vor Journalisten.
Als erste Vergeltungsmaßnahme attackierte die israelische Luftwaffe verschiedene Sicherheitshauptquartiere im Gaza-Streifen. Palästinensischen Berichten zufolge wurden dabei 37 Menschen, darunter Sicherheitsbeamte, Zivilisten und zwei Journalisten, verletzt. Ein Sprecher der palästinensischen Autonomiebehörde warnte vor Eskalationen. Er appellierte an die USA, Druck auf Israel aufzuüben, um die Gewalt einzudämmen und die Verhandlungen wiederaufzunehmen.
Die Reichweite der Kassam 2 liegt vorerst noch bei unter zehn Kilometern. Dennoch ist der durch diese Raketen anzurichtende Schaden kaum abzusehen. Städte wie Hadera und Netanja im Norden Israels liegen nicht weit von den Palästinensergebieten entfernt. In der Umgebung des Gaza-Streifens sind vorwiegend Kibbuzim und kleinere Ortschaften von Raketenangriffen bedroht. Problematisch für Israel ist, dass die Angreifer selbst kaum ein Risiko eingehen. Ähnlich wie bei den Schussübergriffen auf jüdische Siedler ist die Flucht in das autonome Gebiet in nur wenigen Minuten möglich. Im Gaza-Streifen befinden sich die Raketenabschussrampen ohnehin schon in der Autonomiezone.
Das israelische Militär bereitete sich gestern auf eine mögliche neue Invasionen entlang der sogenannten „grünen Linie“ zum Westjordanland vor. Geplant sind Vergeltungs- und Initiativschläge. Ministerpräsident Ariel Scharon berief bereits am Sonntagabend den Verteidigungsminister sowie Außenminister Schimon Peres zu sich, um über weitere Maßnahmen zu beraten. Berichten zufolge will die Regierung vorläufig „keine irreversiblen Schritte“ gegen die palästinensische Führung unternehmen. Nähere Details wurden bislang nicht veröffentlicht.
Obschon die beiden am Sonntag abgefeuerten Raketen niemanden verletzten, sprechen politische Beobachter von einer „direkten Herausforderung der israelischen Führung“. Zeev Schiff, Militärkorrespondent der Tageszeitung Ha’aretz, fragt, warum die Palästinenser „trotz der wiederholten Warnungen, dass jeder Beschuss unmittelbare Konsequenzen nach sich ziehen wird“, die Rakten abgefeuert haben. Generalmajor Schmuel Arad, der in der Vergangenheit die so genannte Heimfront kommandierte, glaubt, dass die Palästinenser mit ihrer neuen „strategischen Waffe eine Art Balance“ zu erreichen versuchen, ähnlich wie es die Hisbullah, die im Südlibanon tausende Katjuschas stationiert hatte, versuchte. Militärbeobachter fürchten eher psychologische als tatsächliche militärische Auswirkungen der neuen Rakete.
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