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Lästerliche Kommentare

Während die US-Presse den Hackl Schorsch ein „lebendiges Football-Ei“ heißt, rodelt der Bayer zu Silber und verpasst den Einzug in die Hall of Fame knapp. Armin Zoeggeler schnappt sich Gold

aus Salt Lake City MARTIN HÄGELE

Darf ein Reporter die Gefühle eines Athleten vor der ganzen Welt bloßlegen? Mit Diskussionen über ihren journalistischen Ehrenkodex sind die meisten deutschen Medienvertreter an der Haltestelle Utah Olympic Park in den Bus gestiegen, nur ein paar Meter entfernt vom Interview-Raum des Pressezentrums, wo Gerald Fritsche, Rodel-Experte der Deutschen Presse-Agentur, dem Silbermedaillengewinner Georg Hackl die Frage gestellt hatte: „Sie haben doch in der Vergangenheit jede Ihrer olympischen Medaillen jemanden gewidmet, der Ihnen geholfen hat oder sehr nahe gestanden ist. Machen Sie das diesmal wieder so?“ Im gleichen Augenblick verflog jedes Lächeln aus dem zuvor so lustigen Entertainer, einige Sekunden kämpfte er um seine Fassung, ehe die Stimme brach. Die Szene ging jedem im Saal unter die Haut, bevor Hackl dann unter Tränen ein Wörtchen stammelte: „Sure“ (sicherlich). Nach einer weiteren, endlos erscheinenden Pause, redete er dann auf Englisch weiter. Die Silbermedaille sei seinem Vater gewidmet, der vor ein paar Wochen gestorben sei.

Und so hatten die Deutschen ihre Ethik-Debatte und die Amis ihre menschelnde Story. Vater Hackl war am 28. Dezember nach dem Weltcuprennen von Königssee neben der Rodelbahn zusammengebrochen. Während er im Schnee lag und starb, spielten sie für Georg Hackl gerade die Nationalhymne. Diese Geschichte vom berühmtesten Rodler der Welt, der auf dem Höhepunkt seiner Karriere um seinen Vater trauerte, wird nun quer durch Amerika und wohl rund um den Globus gehen. Und das mögen Leute, die mit ihrer Trauer allein sein wollen, eben nicht.

Der Hackl Schorsch aus dem Berchtesgadener Land mag vieles von dem nicht, was es in den Vereinigten Staaten über ihn zu lesen gibt. Vielleicht hat er auch Sports Illustrated gelesen vor seinem Wettkampf, und wie despektierlich ihn das Fachblatt des US-Sports präsentierte. Der Deutsche komme wie ein lebendiges Football-Ei daher, habe die Figur eines Brotlaibs. Er könne vielleicht Kegler sein oder Forellenangler, der Mann, der sich anschicke, der erfolgreichste olympische Wintersportler zu werden, passe mitnichten zu den gängigen Vorstellungen über einen Athleten der Sonderklasse. Aber noch mehr als diese unverfrorenen Attribute, die im Artikel dann doch noch in blanke Bewunderung für das Rodel-Idol übergehen, hasst es Hackl, dass seine Karriere in den USA in einen solch großen Rahmen gesteckt wurde. Er werde in Salt Lake City in die olympische Geschichte rodeln, hieß es. Und deshalb hat er jenen Spruch gemacht, der neben seinem verstorbenen Vater den zweiten Teil des Hackl-Stücks in den US-Blättern abgeben dürfte. „Wenn ich ein Amerikaner wäre, würde ich sagen: fuck the history.“

Nun sind es aber nicht nur von Hollywood und Superstars geprägte Menschen, die das bayerische Urviech Hackl zum Ritter der olympischen Bewegung schlagen möchten. Selbst IOC-Präsident Jacques Rogge war in aller Herrgottsfrüh aufgestanden, um Hackl gleich vor Ort in die Hall of Fame des Weltsports zu befördern. Auch als dieser seinen vierten Olympiasieg in Serie verpasst hatte, sprach der Belgier voller Hochachtung. Zwar habe diesmal die junge Generation über den Altmeister die Oberhand gewonnen, doch er sei an der Eisrinne Zeuge einer „Schlacht der Titanen“ gewesen.

Hackl ist von der olympischen Bühne im großen Stil abgetreten. Er hatte sich auch darauf vorbereitet. „Der Mann, der Gold gewonnen hat, ist nun das Maß aller Dinge“, sagte er über den sieben Jahre jüngeren Armin Zoeggeler aus Italien. Allerdings nicht erst, nachdem dieser in vier Läufen zweimal die Bestzeit vorgelegt hatte – was Hackl nur im zweiten gelungen war. Schon am Abend hatte Georg Hackl unter Freunden geäußert: „Der Armin ist schon seit zwei Jahren der Beste.“ Instinktiv hatte er gespürt, dass ihm da einer davonfuhr. Von der Statur her trennen den Polizeioffizier aus Meran und den Hauptmann der Bundeswehr zwar einige Konfektionsnummern, als geistiger Bruder vom Hackl Schorsch könnte der introvertierte Zoeggeler aber auf Anhieb durchgehen.

An jener Bushaltestelle, an der später über die Moral in der Medienbranche gestritten werden sollte, hatte Thomas Bach, der ranghöchste Sportfunktionär Deutschlands, zuvor schon eine Laudatio auf den Landsmann verfasst. Der Rechtsanwalt aus Tauberbischofsheim zeigte sich von der Fairness Hackls beeindruckt, „wie der neben uns die Goldfahrt seines Konkurrenten kommentiert hat – ohne jeden Neid“. Man müsse alles tun, um solch einen Mann dem deutschen Sport zu erhalten. „Die Berchtesgadener werden ihn auf den Schultern durch die Stadt tragen, und die Eisbahn in Königssee hat ja auch noch keinen richtigen Namen“. Fraglich, ob der prominenteste Sportler jener Gegend so etwa überhaupt will.

Hackls Erfolg war nicht selbstverständlich. Denn von den körperlichen Voraussetzungen gehört er längst zu den Auslaufmodellen. Seine Arme waren immer etwas kurz, aber seit einem Bandscheibenvorfall ist er beim Start gehandicapt. Deshalb hat der Tüftler und Perfektionist, der immer mehr auf sein Fahrwerk angewiesen war, sich besonders bei zwei Konstrukteuren von Porsche bedankt, die den Rodel für ihn gebaut hatten. „Ohne die hätte das nicht geklappt, denn wenn ich keinen solch schnellen Schlitten hätte, rauchen mich die meisten andern in der Pfeife.“

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