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Eine Forschergeneration wird geopfert

Das neue Hochschulrahmengesetz wollte mit der Einführung der „Juniorprofessoren“ eine Jahrhundertreform werden. Nun erreicht es genau das, was es verhindern wollte: Tausende Nachwuchswissenschaftler verlieren ihre Jobs oder flüchten ins Ausland. Wer nach 12 Jahren nicht Professor ist, fliegt raus

„Wer soll denn die Drittmittel einwerben und die Forschung anleiten?“

von CHRISTIAN FÜLLER

Seit nunmehr sechs Wochen grübelt der Bundespräsident. Johannes Rau hat einen kniffligen Job zu erfüllen: Er soll die für den Forschungsstandort Deutschland so wichtige 5. Novelle des Hochschulrahmengesetzes (HRG) unterzeichnen. Das Gesetz führt die so genannte Juniorprofessur ein, die es Forschern schon mit 30 Jahren ermöglichen soll, unabhängig ihren eigenen wissenschaftlichen Projekten nachzugehen. Bislang hat der Präsident das Gesetz noch nicht ausgefertigt – die Länder haben ihm nicht zugestimmt.

Nun aber kommen, ehe das „Hochschuldienstrecht für das 21. Jahrhundert“ in Kraft ist, neue schwer wiegende Probleme hinzu. Hunderte, ja tausende von befristet beschäftigten WissenschaftlerInnen laufen Sturm gegen das Gesetz, weil es eine neue Regel enthält. Die besagt: 12 Jahre lang dürfen sich Forscher nach ihrem Diplom auf befristeten Stellen für Promotion und Habilitation tummeln – danach ist Schluss. Thomas Mergel von der Initiative „wissenschaftlichernachwuchs.de“ hält die Norm für verrückt – weil „sie die Forschergeneration der 35- bis 45-Jährigen einem Gesetz opfert“.

Zum Beispiel Andrea Koschinsky. Legt die Freie Universität Berlin das kommende Gesetz streng aus, hat die Geochemikerin ein halbes Wissenschaftlerleben in den Sand gesetzt – obwohl sie eine exzellente Forscherin ist. Die Frau hat ihre Promotion mit summa cum laude abgeschlossen, sie kann Publikationen in renommierten Zeitschriften aufweisen und wird im April habilitiert sein – mit 37, also fünf Jahre früher als die meisten Kollegen. Das alles nutzt Andrea Koschinsky nichts. Sie ist jetzt 12 Jahre auf Friststellen. Entweder sie ergattert sofort eine Professur – oder ihr droht im Oktober mit dem Ende ihres Vertrages der Abgang aus der Wissenschaft.

„Es muss doch eine Übergangsregelung geben“, seufzt die Frau. Als Meeresgeochemikerin erforscht sie Rohstoffe, Umweltschutz und neuerdings heiße Quellen in den Ozeanen der Welt. Doch nun versteht sie diese Welt gar nicht mehr. Bis für sie eine Professur frei wird, muss sie eine Lücke von zwei, drei, vielleicht vier Jahren überbrücken, in denen sie Geld verdienen und weiterforschen muss. Doch eine solche Phase ist im Hochschulgesetz nicht mehr vorgesehen. „Das ist ein bisschen realitätsfern“, wundert sich Koschinsky über die Gesetzesmacher. „Wer soll denn die Drittmittel einwerben, wer soll die Forschung anleiten, wer komplizierte Labore betreiben, wenn nicht erfahrene Wissenschaftler um die 40?“

Fälle wie Andrea Koschinsky gibt es mehrere tausend in Deutschland: Die Forscher befürchten mitten in ihrer produktivsten Phase aus dem Job gerissen zu werden. Viele sehen sich inzwischen nach Stellen im Ausland um – eine bittere Ironie. Hatte Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) das ganze Reformwerk doch mit der Begründung gestartet, sie wolle den brain drain wissenschaftlicher Spitzenkräfte ins Ausland stoppen.

Im Ministerium will man das alles freilich nicht wahrhaben. Tapfer halten sich die SprecherInnen von Bulmahn an die Sprachregelung, es bestehe kein Grund zur Panik, Massenentlassungen werde es nicht geben. Eine naive Haltung. Nicht nur die Uni Göttingen hat bereits lange vor der parlamentarischen Ratifizierung des HRG vollendete Tatsachen geschaffen. Sie sperrte zu Gunsten der neuen Positionen für Juniorprofessoren sofort die Vergabe von so genannten C 1- und C 2-Stellen – genau jenen Übergangsjobs, welche die jetzigen Habiltanden zum Sprung auf Lehrstühle benötigen.

Kein Wunder also, dass die als Jahrhundertreform begonnene Juniorprofessur imagemäßig inzwischen mächtig gelitten hat. Vor Monaten konnte es die Ministerin noch als Protest unverbesserlicher Reaktionäre abtun, wenn hunderte Professoren gegen die Abschaffung der Habilitation mit einer vierseitigen FAZ-Anzeige polemisierten.

Inzwischen protestieren neben Unbelehrbaren auch die Nachwuchskräfte. Und beinahe täglich sind in den tonangebenden Feuilletons renommierte Intellektuelle zu lesen, die Bulmahns Juniorgesetz in Bausch und Bogen verdammen.

Das ist ein bisschen ungerecht. Die Kritiker vermischen gern begründete Einwände gegen Detailfehler mit ideologisch gefärbter grundsätzlicher Ablehnung. So entsteht der Eindruck, das ganze Reformgesetz sei unsinnig. Das ist falsch. Es schafft in der Tat endlich die überkommene Habilitation ab und öffnet mit der Juniorprofessur einen international üblichen Qualifikationsweg. „Wir stehen den Juniorprofessoren nicht ablehnend gegenüber“, beginnt denn auch beinahe jeder Aufruf gegen das neue Gesetz.

Bulmahns Problem ist, dass sie es versäumt hat, für Habilitanden und gute Wissenschaftler der zweiten Reihe Übergangsregelungen zu schaffen. Die C 2-Stellen fallen weg, unbefristete Jobs gibt es so gut wie gar nicht, und das Überleben auf befristeten Positionen ist durch die 12-Jahresregel de facto beendet. Bulmahns Unterfangen ist nur deswegen kein echter politischer Skandal, weil das Thema so sperrig ist. Man stelle sich nur einmal vor, was los wäre, wenn die Kultusminister zwei Abiturjahrgänge zugleich auf den Markt werfen würden – und parallel die Zahl der Studienplätze halbierten.

Inzwischen merkt allerdings auch das Hause Bulmahn, was es angerichtet hat. Dort hat man eine Info-Hotline einrichten lassen, wo sich besorgte Nachwuchskräfte Rat holen können. Jetzt laufen die Telefonleitungen heiß und den Reformern wird klar: Das tolle HRG löst nicht etwa Begeisterung aus, sondern Ratlosigkeit allenthalben.

Die Bilanz rot-grüner Wissenschaftspolitik ist damit insgesamt schwer eingetrübt. Die wichtigste Reform, die den überkommenen Qualifikationsweg der Habilitation abschaffen und so eine Verjüngung bewirken sollte, treibt nun tausende gut qualifizierter Wissenschaftler aus ihren Jobs. Und selbst den Bundespräsidenten hat Bulmahn in eine höchst missliche Lage manövriert. Ausgerechnet Johannes Rau, dessen präsidiales Lieblingsthema Bildung und Wissenschaft ist, muss nun ein Gesetz unterzeichnen, welches das Know-how einer ganzen Forschergeneration vernichtet.

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