: „Die nächsten Monate sind entscheidend“
Die grüne Abgeordnete Christa Nickels über die Menschenrechtslage und das künftige Justizsystem in Afghanistan
taz: Frau Nickels, in der letzten Woche haben Sie mit einer Delegation des Bundestages Kabul besucht. Wie schätzen Sie die Menschenrechtslage dort ein?
Christa Nickels: Der Innenminister hat uns gegenüber erklärt, dass die Lage recht gut sei, betonte aber, dass dies nur im Augenblick der Fall ist. Es wurde dringend angemahnt, dass der Wiederaufbau der Polizei in Angriff genommen werden muss, weil die Sicherheitslage sehr fragil ist. Auch von den Menschen vor Ort wurde ganz klar zum Ausdruck gebrach, dass man einerseits sehr hoffnungsvoll ist, andererseits die nächsten drei Monate aber noch dafür entscheidend sind, ob die Sicherheit gefestigt und ausgebaut werden kann – oder ob es ein Rollback geben wird.
Was können Sie über die Situation außerhalb Kabuls sagen?
Aus eigener Anschauung können wir nichts über die Lage außerhalb Kabuls sagen, weil wir die Stadt nicht verlassen konnten. Es wurde wegen der Sicherheitslage als nicht möglich erachtet. Wir hatten also als Delegation nur die Möglichkeit, uns intensiv in Kabul umzusehen.
Kann sichergestellt werden, dass die Hilfslieferungen nicht zur Stärkung der lokalen Warlords beitragen?
Was das Problem der Warlords betrifft, sind wir darauf angewiesen, was wir von Hilfsorganisationen hören konnten. Unsere Gesprächspartner haben bestätigt, was man bei uns auch in den Medien lesen kann. Ihrer Meinung nach ist genug an Lebensmitteln im Land vorhanden. Aber die Verteilung ist immer noch nicht gewährleistet, teilweise weil die Gebiete noch unsicher sind.
Wie ist die Lage der Gefangenen?
Wir hatten von Beginn an den Antrag gestellt, ein Gefängnis besuchen zu dürfen. Das ist uns jedoch nicht gestattet worden, mit dem Hinweis, nur das Internationale Rote Kreuz habe Zugang. Wir haben am letzten Tagen mit dem Innenminister gesprochen, der uns gegenüber erklärte, dies sei an ihm vorbeigegangen, er hätte uns das gestattet. Zu dem Zeitpunkt war ein Besuch aber nicht mehr machbar. Der Minister sagte uns, man habe Mitläufer entlassen, sodass in den Gefängnissen jetzt keine Enge mehr herrsche. Verifizieren konnten wir das nicht.
Sehen Sie Chancen für den Aufbau eines Justizsystems, das internationalen Menschenrechtsstandards entspricht?
Die Schnelligkeit des Aufbaus hängt davon ab, dass das zugesagte Geld und die logistische Unterstützung aus dem Ausland schneller kommt, als das bisher der Fall ist. Uns wurde erklärt, dass die Verfassung von 1964 angewendet würde, die auf internationalen Menschenrechtsabkommen beruht. Der Justizminister sagte uns ausdrücklich, dass schwere Leibesstrafe und unwürdige Behandlung, wie teilweise von der Auslegung der Scharia bestimmt, verboten sind. Für die Umsetzung könnte die Regierung noch nicht garantieren, weil in vielen Teilen des Landes die Polizei fehlt.
INTERVIEW: ERIC CHAUVISTRÉ
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