: Folter und Mord zugelassen
Am zweiten Verhandlungstag des Prozesses gegen Slobodan Milošević vor dem UNO-Tribunal listet der Ankläger weitere Gäueltaten auf, für die Jugoslawiens Expräsident verantwortlich sein soll. Derweil bereitet sich Milošević auf seinen Auftritt vor
von ROLAND HOFWILER
Das UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag konfrontierte den angeklagten serbischen und jugoslawischen Expräsidenten Slobodan Milošević gestern mit weiteren Gräueltaten während dessen Amtszeit. „Dieser Angeklagte hat gewusst, was sich in den bosnischen Gefangenenlagern Trnoplolje, Omarska und Keraterm abspielte“, erklärte UNO-Ankläger Geoffrey Nice unter anderem, „und er hat es zugelassen, dass Gefangene gefoltert und ermordet wurden.“
Um zu unterstreichen, unter welch unmenschlichen Bedingungen die Gefangenen im Sommer 1992 hausten, ließ das Tribunal, wie bereits am Vortag, zahlreiche Filmberichte der BBC einspielen, auf denen abgemagerte und verängstigte Insassen gezeigt wurden, die hinter Stacheldrahtzäunen um ihr Leben fürchten.
Diese Bilder gingen einst um die Welt und veranlassten den damaligen US-Außenminister Lawrence Eagleburger zu der öffentlichen Forderung, Milošević müsse wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt werden. Auf diesen Sachverhalt wies Ankläger Nice hin, erläuterte aber nicht, warum Eagleburger seine Anschuldigungen später wieder zurückzog.
Wie schon am ersten Verhandlungstag sprang Nice von Ereignis zu Ereignis, vom Krieg in Bosnien nach Kroatien, zum Waffengang im Kosovo und wieder zurück. Dabei nahm er den Namen Milošević bewusst kein einziges Mal in den Mund und sprach stattdessen von dem „vor uns sitzenden Angeklagten“.
Ausführlich stellte der UNO-Ankläger die Vertreibung zehntausender Serben aus Kroatien im Sommer 1995 während der Rückeroberungsoffenisive der kroatischen Armee in der Krajina-Region dar. Zu dem Umstand, dass Milošević die Flüchtlinge in der Folgezeit nicht nach Serbien einreisen lassen wollte und diese an der Grenze zum Mutterland tagelang schickaniert wurden, stellte Nice fest: „So inhuman war dieser Mann gegenüber seinen eigenen Landsleuten.“
Milošević wurde gestern Nachmittag, kurz vor der angekündigten Vertagung des Gerichts, das Wort erteilt. Er will heute zu den Anklagen Stellung nehmen und dabei mit den gleichen Mitteln und in gleicher zeitlicher Länge wie Ankläger Nice seine Sicht der Ereignisse darstellen. Milošević’ Rechtsberater verlangten gestern vom Gericht, ebenfalls Ton- und Bilddokumente vorspielen zu dürfen, die der Angeklagte dann selbst kommentieren wolle.
Zu den BBC-Aufnahmen über die Gefangenenlager Trnoplolje, Omarska und Keraterm wolle sich Milošević, wenn es ihm gestattet werde, auf jeden Fall äußern. Aus seiner Sicht sind die Bilder der Gefangenen Manipulationen und die Aussagen der Interviewten gestellt.
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