: Alles Stoiber in Biberach
Bayerns Ministerpräsident beherrscht die Rede Joschka Fischers. Umgekehrt gilt das nichtvon BETTINA GAUS
„Niemand soll sich darauf verlassen, dass mir die Luft ausgeht“, rief Edmund Stoiber in die überfüllte Nibelungenhalle. Zu diesem Zeitpunkt hatte er schon fast zweieinhalb Stunden gesprochen. Seinen begeisterten Anhängern aber genügte selbst das noch nicht. „Zugabe, Zugabe!“ Das lockte den bayerischen Ministerpräsidenten nach seinem Abgang von der Bühne ein weiteres Mal ans Rednerpult: „Die Zugabe gibt es im nächsten Jahr, wenn zum ersten Mal in Passau der Bundeskanzler am Aschermittwoch spricht.“ Da kannte der Jubel keine Grenzen mehr.
Edmund Stoiber hat gestern eine der größten rhetorischen Herausforderungen seiner Laufbahn bravourös bewältigt. Er musste höchst unterschiedlichen Erwartungen gerecht werden: Das heimische Publikum erwartet vom politischen Aschermittwoch in Passau stets eine deftige Stammtischrede des CSU-Vorsitzenden. Der sollte dieses Mal aber darüber hinaus eine gute Figur als Kanzlerkandidat der Union machen – und das vor allem außerhalb der bayerischen Landesgrenzen. So war denn auch auf die Anwesenheit von CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer besonderer Wert gelegt worden. „Auf Passau schauen diesmal sehr viele in Deutschland“, sagte Stoiber ahnungsvoll. Er wusste, was auf dem Spiel stand.
Die Gratwanderung gelang ihm dann mit einem ebenso einfachen wie wirkungsvollen Trick. Im persönlichen Angriff bediente er Wünsche nach schenkelklopfender Häme und konnte deshalb zu Sachfragen eher zurückhaltend Stellung beziehen. Zu dem mit Spannung erwarteten Thema der Zuwanderung sagte er nicht mehr, als dass Integration Not tue. Bundeskanzler Gerhard Schröder bezeichnete er hingegen als „Weichmacher des Euro“ und „Totengräber des Stabilitätspakts“. In Rudolf Scharping habe der statt eines Verteidigungsministers einen „Minister für Selbstverteidigung“. Bei Finanzminister Hans Eichel sei „der Lack ab“. Der Arbeitsminister sei „reif für die Riester-Rente“.
Diese rhetorischen Geschenke an die Stammwählerschaft erlaubten es Edmund Stoiber, die große Linie seines Wahlkampfes zu skizzieren. Seit gestern steht fest: Er wird eher auf Angriffe gegen die Bundesregierung setzen als auf eigene Gegenentwürfe. Die Wahlen werden seiner Einschätzung nach offenbar vor allem im Osten entschieden. Wirtschaftspolitik spielt dabei eine größere Rolle als Außenpolitik. Die kam in Passau nicht vor.
Wenn Stoiber die Wahlen gewinnen will, muss er die politische Mitte besetzen. Die Grünen, jahrelang Lieblingsfeinde der CSU, scheinen als Bedrohung des bürgerlichen Staats-und Gesellschaftsbildes ausgedient zu haben. Jetzt sammelt Stoiber seine Truppen im gemeinsamen Kampf gegen die PDS – und damit zugleich gegen die SPD: „Wer mit der PDS auf Länderebene koaliert, der hat in der Mitte Deutschlands keinen Platz.“ Wählerbeschimpfung vermied der Kandidat in diesem Zusammenhang ausdrücklich: „Ich kämpfe auch um jede Wählerin und jeden Wähler der PDS.“ Deren Entscheidung rühre vielfach aus der Enttäuschung über die verschlechterte Wirtschaftslage her.
In der öffentlichen Meinung gilt die SPD traditionell als zuständig für die soziale Gerechtigkeit. Stoiber will den Sozialdemokraten dieses Feld streitig machen – und er verknüpfte das gestern elegant mit dem Leitbild der Familie: „Nicht die Aktienkurse sind unsere Zukunft, sondern die Kinder sind unsere Zukunft.“ Die sinkende Geburtenrate bereite ihm Sorge. „In zehn Jahren bekommen wir einen Aufstand der Jungen gegen die Alten“, weil die jüngeren Arbeitnehmer dann nicht mehr bereit seien, für die Rente der Alten zu arbeiten. Und: „Wenn über eine Million Kinder von der Sozialhilfe leben müssen, dann stimmt etwas im Gerechtigkeitsgefüge dieser Republik nicht. Ich will das ändern.“
Was Edmund Stoiber sonst noch ändern will, ließ er weitgehend offen. Zwar hat er angekündigt, im Juni oder Juli ein Programm für die ersten hundert Tage seiner Regierungszeit vorlegen zu wollen, zugleich aber betonte er: „Diese Regierung hat ja die Handlungsspielräume für ihre Nachfolger außerordentlich verengt.“ So teilte er lediglich mit, die „fünfte Stufe der Ökosteuer“ nicht in Kraft setzen zu wollen.
Ein Kanzlerkandidat darf nicht nur rechnen, er muss auch die Gefühle der Bevölkerung ansprechen. Stoiber setzt gegen Globalisierungskritik von links die Liebe zum Vaterland: „Ich will meinem Vaterland dienen. Ich will ihm dienen.“ Es sei „die Aufgabe der Politik, die Menschen nicht durch Modernisierung und Globalisierung entwurzeln zu lassen“. Innerhalb bestimmter Grenzen, versteht sich: Die Münchner Polizei habe bei der Sicherheitskronferenz „Chaostage in Bayern“ verhindert. Wichtig fürs Herz ist schließlich auch die Familie. Stoiber machte seiner Frau Karin das zweifelhafte Kompliment, er sei „stolz darauf, 34 Jahre mit derselben Frau verheiratet zu sein“. Sie lächelte tapfer.
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