Exemplarischer Ort der Vernichtung von Liebe

Schmerzhaft: In „Bad Guy“ (Wettbewerb) kracht Kim Ki-Duk mit exzessiver Brutalität in das triste Straßenbild eines koreanischen Rotlichtbezirks

Es wird permanent rekonstruiert in Kim Ki-Duks neuem Film „Bad Guy“: Fotos, Erinnerungen, Leben, menschliche Beziehungen, Leiden. Ki-Duks präzise Bilderordnung produziert eine Realität mit vielen Leerstellen. Sie scheinen die letzten Fluchtpunkte, auf die sich die Menschen noch zurückziehen können, um Schutz zu finden. Das gilt in „Bad Guy“ vor allem für seine weiblicheHauptfigur Sun-Hwa.

Der Blick in den Spiegel offenbart eine verzweifelte Hoffnung: die Projektion ihres Abbildes in die zerrissene Fotografie eines Paares schafft eine vage Flucht-Identität. Später wird die dünne Haut der Realität, in der Metapher der Spiegelfläche durchlässig. Und die fragmentierten Identitäten von Sun-Hwa und ihrem Peiniger/Liebhaber bilden sich kurz aufeinander ab. Ki-Duks Charaktere haben eine Welt voller Widersprüche zu kompensieren, um das Gefühl von Schmerz zu unterdrücken. Doch jeder Versuch einer Erkenntnissuche endet wieder im Schmerz. Das ist das Leitmotiv von bisher allen Filmen des koreanischen Regisseurs, der in Europa bereits mit seinem Ruf als „Enfant terrible“ hart zu kämpfen hat.

In „The Isle“, der derzeit in den deutschen Kinos zu sehen ist, hing das fragile Liebesmodell westlicher Tradition buchstäblich an einem Angelhaken. In „Bad Guy“ kracht Ki-Duk jetzt mit exzessiver Brutalität in das triste Straßenbild eines koreanischen Rotlichtbezirks. Nirgendwo wird die Warenförmigkeit des weiblichen Körpers und des romantischen Ideals der Liebe evidenter als in den Schaufensterzeilen einer solchen Puffstraße. Die Männer sitzen auf ihren Balkonen, während die Frauen unter ihnen ihre Körper zur Schau stellen.

Ki-Duk sucht in dieser Anordnung nach einem Abbild sozialer und emotionaler Machtverhältnisse. Hierhin, an diesen exemplarischen Ort der Vernichtung von Liebe, hat der Bad Guy Han-Gi die Studentin Sun-Hwa gebracht. Seine Zuneigung zu ihr kann sich nur noch in rigider Zurschaustellung von Macht äußern: Er zwingt das Mädchen zur Prostitution. Gewalt ist in allen Filmen Kim Ki-Duks die Sprache der Männer; Leidtragende sind fast immer Frauen. Dass sich darin eine Form von Misogynie zeigen soll, ist das große Missverständnis von Kim Ki-Duks Filmen. Die Struktur der Gewalt, so oft sie in seinen Filmen auch das Maß aller Dinge scheint, produziert nur Verstörung, nicht Sicherheit. Und manchmal auch groteske Momente: Noch nie hat man Menschen in einem Film sich so oft und ausdruckslos ohrfeigen sehen.

Mit der Erfahrung aus „The Isle“ im Hinterkopf sieht man Ki-Duk-Filme heute übrigens mit ganz anderen Augen. Welche Alltagsgegenstände können Menschen in ihrem Gewaltfuror zweckentfremden? Jeder Handgriff ist verdächtig. Ein rostiger Nagel? Ein Standaschenbecher? Die Auflösung ist grandios: Mit der spitz zusammengerollten Reklamewurfsendung übertrifft Ki-Duk alle Erwartungen an eine effiziente Mordwaffe. Zum Lachen ist das Ganze aber trotzdem nicht. ANDREAS BUSCHE

„Bad Guy“. Regie: Kim Ki-Duk. Korea 2001, 100 Min.