: Karriere und Ansehen geopfert
betr.: „Japan lernt einen Helden kennen“, taz vom 13. 2. 02
Wenn in dem Artikel davon die Rede ist, dass im Sommer 1940 tausende Juden vor den Deutschen flüchteten, so entspricht dies wohl nur bedingt der historischen Wahrheit.
Litauen wurde gemäß des Geheimen Zusatzprotokolls zum Hitler-Stalin-Pakt im September 1939 von der Sowjetunion besetzt. Dies hatte für die jüdische Bevölkerung nicht nur eine massive Einschränkung ihrer Religionsfreiheit und vielfache politische Verfolgung zur Folge, sie wurden darüber hinaus – paradox genug – von der nichtjüdischen Bevölkerung oftmals als Unterstützer des sowjetischen Regimes angesehen. So verbreitete die extrem nationalistische Lietuviu Aktyvistu Frontas bereits vor dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion antijüdische Pamphlete, vielerorts kam es zu Pogromen.
Keineswegs kann also die Rede davon sein, dass das Hauptmotiv zur Flucht aus Litauen im Sommer 1940 die vorrückenden Deutschen gewesen seien (die schließlich zu diesem Zeitpunkt gar nicht vorrückten), dies war erst mit dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 der Fall. Diese Tatsachen schmälern allerdings nicht das Verdienst Chiune Sugiharas, sie stärken es noch. Denn Chiune Sugiharas hat den Entschluss zu seinem uneigenützigen Einsatz nicht im Angesicht des unvorstellbaren Grauens einer heranrollenden deutschen Vernichtungsmaschinerie getroffen, es genügte ihm schon der immer noch schreckliche, im Vergleich aber wohl geringer zu nennende Anlass der politischen und religiösen Unterdrückung und Verfolgung einer Minderheit, um Karriere und Ansehen zu opfern!
FLORIAN BEER, Bielefeld
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen