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Bis zur Wahl täglich ein Sparpaket

Der Bundesfinanzminister spart jetzt öfter mehrere Milliarden ein – mündlich. Nach den Ländern hat er sich seine Kollegen im Kabinett vorgeknöpft: Eigenheimförderung und Arbeitslosenhilfe sollen bluten. Die Frage ist bloß: Vor der Wahl oder nachher?

von CHRISTIAN FÜLLER

Langsam wird deutlich, warum Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) die Defizit-Mahnungen aus Brüssel so ruhig entgegengenommen hat. Ein besseres Instrument als die Autorisierung durch die EU-Kommission, auf die deutschen Finanzen genau aufzupassen, hätte sich Eichel nicht wünschen können. Im Wahljahr kann er nun beinahe alle in Schach halten – die Länder, seine Kabinettskollegen und die Öffentlichkeit. Der Finanzchef von Rot-Grün kann sich sogar als Reformmotor der Regierung stilisieren.

Einen solchen Versuch hat Eichel am Wochenende unternommen. Er kündigte über die beiden Montagsmagazine vorab einen harten Sparkurs an. Der Focus verbreitete Einzelheiten einer internen Streichliste, die vor allem bei Arbeitslosenhilfe und Eigenheimförderung Einschnitte in zweistelliger Milliardenhöhe vorsehe. Zudem sollten nicht näher bezeichnete Subventionen um ein Drittel gekürzt werden.

Während ein Sprecher des Finanzministeriums die Meldung als „reine Spekulation“ bezeichnete, machte Eichel via Spiegel deutlich, wie wichtig ihm seine neuen Brüsseler Folterinstrumente sind. Der Sparkommissar sagte, auf „allen Ebenen“ müsse gekürzt werden, um 2004 nahe an einen ausgeglichenen gesamtstaatlichen Haushalt heranzukommen. An zusätzlichen Sparbemühungen müssten sich jedenfalls „Bund, Länder, Gemeinden und Sozialversicherungen“ beteiligen, forderte der heimliche Star des Bundeskabinetts. Für die Länder schlug der Finanzminister erneut einen „nationalen Stabilitätspakt“ vor – also Sparen unter seiner Oberaufsicht.

Die Länder taten Eichel den Gefallen und reagierten wie erwartet: Sie, die wochenlang darüber höhnten, dass der Bundesregierung für ihre unsolide Finanzpolitik aus Brüssel ein blauer Brief drohe, weigerten sich nun rundweg, Maß zu halten.

Bayerns CSU-Fraktionschef Alois Glück sah einen „neuen Zentralismus“ aufkommen. Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU): „Niemand kann erwarten, dass wir einem Pakt über Defizitquoten zustimmen.“ Auch SPD-Länder waren nicht erfreut: Eichel habe „Illusionen“ (Niedersachsen), mehr Einsparungen seien nicht machbar (Berlin), ein Haushalt 2004 ohne neue Kredite sei „schlicht nicht darstellbar“ (Rheinland-Pfalz).

Wie wichtig man die vermeintlichen Haushaltspläne nehmen sollte, macht freilich eine Äußerung des Kanzlers deutlich. Gerhard Schröder stimmte seinem Finanzer im Prinzip zu – machte aber deutlich, dass im Wahljahr keine harten Sparbeschlüsse gegen die Wähler erwünscht seien. In der Tat hat die Haushaltsaufstellung für das Jahr 2003 eher symbolischen Charakter. In Wahljahren werden die Etats der Ministerien nur auf Probe festgelegt – man weiß ja nie, welche Farbe eine neue Regierung hat. Rot-Grün hatte 1998 den letzten Kohl’schen Haushalt als Makulatur bezeichnet – und als Erstes einen Kassensturz vorgenommen. Das wird dieses Jahr wieder geschehen – egal, wer regiert.

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