: Die Brezel in mir ist die Brezel in dir
In weiter Ferne so nah: Die neuen Folgen von „Raumschiff Enterprise“ zeigen die aktuelle Version des amerikanischen Traums
Er schaut ein wenig hilflos aus der Wäsche. Die Stirn gerunzelt, die Augen neugierig, aber auch misstrauisch in eine unbestimmte Ferne gerichtet. Oder doch in sein Inneres? Oder ist das einfach ein leerer Blick, der gar nichts sagt, der nur Pose ist, bestenfalls Zeichen für ein geistiges Vakuum, öde wie die unendlichen Weiten des Weltraums?
Naja. So sieht er aus, Scott Bakula alias Captain Jonathan Archer, neuer Chef des Raumschiffs „Enterprise“, seit September letzten Jahres in Amerika zu sehen, Ende dieses Jahres auch in Deutschland. Aber was heißt schon neu? Seit Robert Zemeckis „Back To The Future“, spätestens jedoch seit George Lucas’ „Star Wars Episode 1“ ist die Zeitlinie in Science-Fiction-Produktionen arg durcheinander geraten. Diesem Trend folgend befinden wir uns in der neuen „Enterprise“-Serie in einer Zeit lange bevor Captain James T. Kirk mit der NCC 1701 aufgebrochen ist. Er ist noch nicht einmal geboren. Die Zukunft ist in weite Ferne gerückt.
Wir erinnern uns: Im Jahr 2053 versank die uns bekannte Zivilisation im dritten Weltkrieg. Zehn Jahre später erfand Zefram Cochrane den Warp-Antrieb, der erstmals Reisen mit Lichtgeschwindigkeit erlaubte und ihm den ersten Kontakt mit Außerirdischen bescherte: den Vulkaniern. 2119 hat sich die Menschheit wieder ganz gut vom Atomkrieg erholt und bastelt nun an einem Warp-5-Antrieb. Daran arbeitet auch Archers Vater, doch der erlebt den Aufbruch der ersten Enterprise im Jahr 2150 nicht mehr, was seinen Sohn Jonathan, inzwischen Raumschiffkapitän, noch immer sehr beschäftigt, dargestellt vermittels rührseliger Rückblenden, die den kleinen Jonathan, vom Vater beschützt und beraten, mit einem Modellraumschiff spielend zeigen. Man ahnt es schon: das nervt. Ebenso wie die neue Titelmelodie, eine gesungene Schnulze, zu der im Vorspann die Bilder von großen Entdeckungen gezeigt werden und in der viel von Vertrauen in die Zukunft und das eigene Herz und den eigenen Mut die Rede ist. Ein Titelsong? Keine schmissige Fanfarenmelodie mehr? Archers „Enterprise“, Seriennummer NX-01, ist nicht nur in dieser Hinsicht völlig anders als sämtliche Sternenschiffe gleichen Namens. Sind Kirks 1701 und Picards 1701-D einigermaßen gemütliche Forschungstransporter, gemahnt das Interieur von Archers NX-01 eher an einen amerikanischen Flugzeugträger. Familien sind an Bord nicht erlaubt. Und auch wenn der Waffenoffizier Lt. Malcolm Reed angeblich Brite sein soll und die Linguistin Hoshi Sato offenbar asiatische Vorfahren hat – so amerikanisch ist es niemals zugegangen auf der Enterprise wie nun. Captain Archer ist noch mehr von sich selbst überzeugt als Kirk und ein schmutziger Sprücheklopfer obendrein: Mal will er T’ Pol „in the ass“ treten, dann wieder beschwert er sich, die fortgeschrittenen Vulkanier würden der aufstrebenden Menschheit ohne ihre Aufsicht nicht mal erlauben „to flush a toilet“. Bei Tisch isst Archer gerne mit den Fingern, nur für das obligatorische Steak greift er zum Besteck. Der feinsinnige Jean-Luc Picard würde sich im Grabe umdrehen. Ach so, der wird ja erst 155 Jahre später das Licht der Welt erblicken. Und dann, noch etwas später, die Beziehungen zu den anderen Lebensformen im Weltall mühsam wieder kitten müssen. Gene Roddenberrys ursprüngliche Star-Trek-Welt (entstanden zur Zeit des Kalten Krieges) war durchdrungen von der Hoffnung, die Völker und Rassen könnten sich irgendwann einmal verstehen. Bei ihm gab es den ersten TV-Kuss zwischen einem Weißen und einer Afroamerikanerin zu sehen, und mit Chekov bevölkerte ein echter Russe die Kommandobrücke.
Seine Nachfolger sind da weniger verständigungsduselig. Sie entwerfen ein sehr realitätsnahes Bild der menschlichen (also: amerikanischen) Außenpolitik. Die Menschen haben den Warp-Antrieb, und niemand soll ihnen jetzt mehr dumm kommen. Gemacht wird, was technisch möglich ist. Allein Subcommander T’ Pol hebt leicht die Augenbrauen an, wenn Archer mal wieder eine besonders dumme Idee hartnäckig verfolgen will. Die Vulkanierin ist es auch, die die Serie abendprogrammtauglich machen soll: Ein hautenges Kostüm betont ihre Reize. Die nackte Realität hat den verträumten Glauben an die Besserung der Menschheit abgelöst. Aber, so ist die Wirklichkeit eben, ihre angedeutete Nacktheit bleibt wie ein Stern-Titelbild, ein leeres Versprechen. Die folgenden fünf Episoden sind prüde wie keine Star-Trek-Serie sonst.
Und doch ist „Enterprise“ sehenswert: Wie schon die Vorgängerserien erlaubt sie einen Blick auf die gerade aktuelle Version des amerikanischen Traums. Wäre „Enterprise“ ein wenig ironisch, fast ginge die Serie als Politsatire durch. Der leere Blick, die Erfüllung der Mission des Vaters, die undiplomatische Cowboy-Manier – Jonathan Archer sieht nicht nur aus wie George W. Bush, der amerikanische Präsident hat ihm offenbar auch als Charaktervorlage gedient. Prompt kämpft er in der ersten Folge gegen eine seltsame Sekte namens Suliban. Sollte sich Archer in einer der nächsten Episoden an einer Brezel verschlucken – es wäre nur folgerichtig.
STEFAN KUZMANY
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