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Georgien als Al-Qaida-Hort

Die Regierung in Tiflis bestätigt indirekt, dass sich Kämpfer von Bin Laden in einer Schlucht an der Grenze zu Tschetschenien versteckt halten. Dort sind auch bewaffnete tschetschenische Banden aktiv

BERLIN taz ■ Georgiens Präsident Eduard Schewardnadse wies am Montag entschieden die Behauptung zurück, Ussama Bin Laden könne sich eventuell in seinem Lande, in der an Tschetschenien grenzenden Schlucht von Pankissi, versteckt halten. Diesen Verdacht hatte Russlands Außenminister Igor Iwanow am Freitag während eines Aufenthaltes in Paris geäußert. Auf die Frage von Jounalisten, ob er eine Anwesenheit Bin Ladens in Georgien für möglich halte, antwortete er: „Warum nicht?“ Sarkastisch erinnerte Schewardnadse daran, dass Iwanow aus Georgien stammt und seine Mutter dort immer noch ein Häuschen bewohnt. „Vielleicht versteckt sich Bin Laden ja gerade in jenem Haus“, sagte der Präsident.

Die Information, einigen Dutzend Mitgliedern von Bin Ladens Organisation al-Qaida sei die Flucht in den Kaukasus gelungen, lancierte vor einer Woche der US-Geschäftsträger in Georgien, Philip Remler. Er berichtete einem Reporter, dass einige afghanische Terroristen es bis in die Pankissier Schlucht geschafft hätten. Sie stünden dort mit dem in Tschetschenien operierenden jordanischen Feldkommandeur Hattab in Verbindung und der seinerseits mit Bin Laden. Remler versprach Georgien finanzielle und materielle US-Hilfe im Kampf gegen den Terrorismus.

Sein Angaben wurden später indirekt vom georgischen Sicherheitsminister Waleri Chabursania bestätigt. Die bei der Stadt Pankissi gelegene Schlucht, in der sich an die siebentausend tschetschenische Flüchtlinge niedergelassen haben, ist seit Jahren ein Zankapfel zwischen Geogien und Russland. Schon lange monierte Moskau, sie bilde ein Refugium für bewaffnete tschetschenische Banden, und fordert eine Rückführung der dort befindlichen TschetschenInnen. Vor vierzehn Tagen schlossen Georgien und Russland ein entsprechendes Abkommen. Ausschlaggebend waren auf georgischer Seite offenbar Klagen von Einwohnern angrenzender Provinzen. Sie leiden unter Übergriffen aus der schwer kontrollierbaren Schlucht, in die sich auch gewöhnliche Kriminelle geflüchtet haben.

Georgien hat eine Teilnahme russischer Sicherheitskräfte an der Rücksiedlungsaktion allerdings ausgeschlossen und ist lediglich bereit, dabei Hilfe des russischen Rettungsministeriums zu akzeptieren. „Eine gemeinsame Sicherheitsaktion mit den USA“, so sagte dagegen am Montag der erboste Schewardnadse, würde er „theoretisch nicht ausschließen“. Experten erscheint der Einsatz von US-Einheiten im Moment aber wenig wahrscheinlich, weil die USA damit direkt in den Tschetschenienkrieg verwickelt würden.

Die georgischen Sicherheitskräfte wollten jahrelang nicht eingestehen, dass andere als rein friedliche Tschetschenen in der Schlucht wohnen. Doch in der vergangenen Woche gaben sie sogar zu, dass ein ausgemachter tschetschenischer Terrorist namens Ruslan Gelajew dort „gelegentlich vorbeikommt“. Gelajew beteiligte sich im vergangenen Herbst mit georgischen Partisanen an bewaffneten Angriffe gegen die de facto unabhängige Regierung der abtrünnigen georgischen Provinz Abchasien. Die sich unterdrückt fühlende abchasische Minderheit dort hatte in einem blutigen Bürgerkrieg 1992/93 ihre georgischen Mitbürger weitgehend vertrieben.

Es gilt als sicher, dass sich gewisse georgische Regierungskreise, denen in Abchasien durch einen Waffenstillstand die Hände gebunden sind, letztes Jahr der tschetschenischen Freischärler zu bedienen versuchten, um dort Krieg führen zu lassen. Damit mag die georgische Vogel-Strauß-Politik um die Schlucht von Pankissi zusammenhängen. Russlands Verteidigungsminister Sergej Iwanow erklärte am Montag: „Wenn wir es nicht schaffen, die Banditen zu verjagen, kann sich die Region in ein Mini-Tschetschenien oder Mini-Afghanistan verwandeln.“

BARBARA KERNECK

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