: Jeder spart jetzt gegen jeden
Dank Eichels Zusage in Brüssel muss allein der Bund sechs Milliarden Euro sparen. Noch vor der Wahl muss die Bundesregierung erklären, wo
aus Berlin MATTHIAS URBACH
Seit einer Woche streiten republikweit die Politiker über neue Sparpakete. Doch gestern tat Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) im Bundestag gerade so, als wäre letzte Woche in Brüssel nichts passiert. „Es gibt keine neuen Versprechen des Finanzministers“, erklärte er dem verdutzten Parlament. Nun ging Eichel in seinen Zusagen vielleicht nicht über die ursprüngliche Anforderung des Stabilitätspaktes hinaus, ein gesamtstaatliches Defizit „nahe null“ bis 2004 zu erreichen. Doch Bund und Länder waren sich bis vor einer Woche noch einig gewesen, dass man den erlaubten Spielraum dafür bis 2006 nutzen wollte. Dass Eichel nun vergangene Woche in Brüssel von diesem Spielraum abschwören musste, darum redete er gestern wenig elegant herum.
Pauschale Ausgabenminderung
So blieb die Neugier der FDP unbefriedigt, die eigens die aktuelle Stunde anberaumt hatte, um zu erfahren, wo die Bundesregierung denn nun spart. Immerhin deutete SPD-Fraktionsvize Joachim Poß an, dass die Ressorts aufgefordert werden sollen, nun weitere Sparmöglichkeiten zu suchen.
54 Milliarden Euro haben Bund, Länder und Gemeinden im vergangenen Jahr an neuen Krediten aufgenommen. Bis 2004 soll diese Neuverschuldung auf „nahe null“ gedrückt werden, wie Eichel den EU-Finanzministern versprach. „Nahe null“ würde eine Kreditaufnahme von weniger als 0,5 Prozent bedeuten, gemessen an der Wirtschaftsleistung – rund zehn Milliarden Mark. Bleiben 44 Milliarden Euro, die eingespart werden müssen.
Eine ordentliche Anstrengung: Allein der Bund muss nach Rechnungen der Grünen 2003 und 2004 jeweils um die drei Milliarden Euro zusätzlich einsparen. Das Finanzministerium kommuniziert intern sogar bis zu vier Milliarden jährlich – um auf der sicheren Seite zu stehen. Zum Vergleich: Um drei Milliarden Euro Mehrkosten für den „Kampf gegen den Terror“ zu organisieren, erhöhte Rot-Grün zu Jahresbeginn Tabak- und Versicherungssteuer. Doch Steuererhöhungen sind vor den Wahlen natürlich tabu. Der Kanzler selbst schloss sie am Montag aus.
Noch vor der Wahl muss die Bundesregierung erklären, wo sie sparen will, denn im Juni muss der Haushalt 2003 durchs Kabinett. Am liebsten würde die SPD einfach eine „globale Minderausgabe in den Haushalt einstellen“, wie es im Haushälterjargon heißt. Das bedeutete, man würde in den Haushalt ausgewählter Ministerien einfach pauschal eine Ausgabenminderung hereinschreiben. Ein durchsichtiges Manöver, denn jeder könnte nachrechnen, welche Projekte damit den Tod fänden. Der grüne Haushaltsexperte Oswald Metzger würde lieber die Kohlesubventionen abbauen sowie Arbeitslosen- und Sozialhilfe zusammenlegen – und damit Geld sparen. Doch die Kohle ist der SPD wohl noch heiliger als der Stabilitätspakt. Den Ländern wird das Sparen noch schwerer fallen. Sie leiden vor allem unter dem Einbruch bei Körperschafts- und Gewerbesteuern seit der Rezession. So mussten sie im letzten Jahr dreimal mehr Schulden aufnehmen als geplant: knapp 28 Milliarden Euro. Rund 22 Milliarden weniger müssen es bis 2004 sein. Zwar können sie hoffen, dass sich ihre Einnahmeausfälle schon bald deutlich verringern. Doch ihre Spielräume zum Sparen sind eher kleiner als beim Bund.
Entsprechend rüde waren die ersten Reaktionen. Selbst die SPD-geführten Länder Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und Niedersachsen behaupten, bis 2004 keinen ausgeglichenen Haushalt vorlegen zu können. Aus Hessen und Bayern hagelt es sowieso Kritik: Kanzlerkandidat Edmund Stoiber (CSU) sprach gar von einer „Panikreaktion“ Eichels und erklärte, „das Versprechen an die EU ist nicht einhaltbar“. Dabei hatte selbst Merkel den Sparwillen Eichels begrüßt. Fraktionschef Friedrich Merz (CDU) machte am Montag die Unionsdissonanz komplett, indem er erläuterte, das Sparziel sei nur mit Steuererhöhungen zu erreichen. Will die Union etwa die Steuern erhöhen?
Sparkurs als Wahlkampfschlager
Trotzdem setzt der Kanzler darauf, die SPD-geführten Länder in die Parteiräson zwingen zu können. Schließlich soll der Sparkurs Wahlkampfschlager werden. Klar ist aber, dass er dafür Gegenleistungen bringen müsste. So ist schon klar, dass Verbraucherministerin Renate Künast (Grüne) die Umlenkung von Agrarmitteln in den Umweltschutz (Modulation) nur bekommt, wenn der Bund die Hauptlast dabei trägt.
Schwierig ist auch die Lage der Städte und Gemeinden. Immer wieder treffen Steuerentscheidungen von Bund und Ländern, auf die sie keinen Einfluss haben, auch ihre Haushalte. Um ein Drittel mussten die Kommunen ihre Investitionen im vergangenen Jahrzehnt einschränken. Immerhin konnten sie Eichel dazu drängen, die Vorarbeit für eine Gemeindefinanzreform anzuleiern. Doch ob dabei in zwei Jahren die erhofften Entlastungen herauskommen, ist nun mehr als fraglich.
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