: Geröstete Bohnen im Kopf
Deutsche Lehrer und die Folgen der PISA-Bildungsstudie: Jetzt greift Detmold ein
Hie und da soll ja die böse Nachrede gehen, unsere hochbegabten Lehrer besuchten gern Fortbildungsseminare vom Kaliber „Fahren, rollen, gleiten“, um den schlauen Schülern hinterher das Inlineskaten oder sonst einen modischen Fitnessfuck beizubiegen. Die bildungsurlaubsfreudigen Pädagogen verbrächten aber stattdessen an der Nordseeküste bloß ein paar gezuckerte Tage voller Surfwonnen und Sonnenglück.
Solch arglistige Täuschung kann der Bezirksregierung Detmold niemand ankreiden. Sie annonciert dieser Tage eine auf den 5./6. März 2002 terminierte „Fachtagung für Lehrerinnen und Lehrer im Bezirk Detmold“, die unter dem Titel „Selbstreguliertes Lernen im problemorientierten Unterricht – eine Forderung der PISA-Studie“ vierzehn Workshops offeriert, in denen man der PISA-Zielvorgabe entsprechen will, „die Förderung des selbstregulierten Lernens“ sei „im Hinblick auf gründliches Verstehen notwendig und zugleich ‚durchaus vielversprechend‘“.
Sehr interessant, sehr spannend das. Die Olof-Palme-Gesamtschule in Hiddenhausen-Lippinghausen, Ort der Veranstaltung, wird sich warm anziehen müssen. „Lernende, die ihr eigenes Lernen regulieren, sind in der Lage, sich selbständig Lernziele zu setzen“, lehrt PISA, und die eingeladenen „Lehrerinnen und Lehrer aller Schulformen“ – fast wären wir geneigt gewesen zu schreiben: „Lehrer aller Klassen“, haha – möchten daher per „Einstellungsübernahme“ (Mead) erst mal die „Rolle von Lernenden“ bekleiden, um diese Rolle dann durch eine Rolle rückwärts auf dem Reflexionstrampolin „rückblickend durchdenken [zu] können“.
Damit das auch klappt, dafür bürgt bereits das Tagungskonzept, eine schon jetzt hinsichtlich der Un- oder Dummwörterjahresausscheidung 2002 nahezu uneinholbare Versammlung von Hirngammel und Sprachjammel. „Strategien erfordern Regulation und megakognitive Bewusstheit“, heißt es da; oder: „Problemlösendes Lernen ist offensichtlich darauf angewiesen, dass Strategien eingesetzt, erprobt, gesteuert, überwacht und bewertet werden.“ Sonst haben sie nichts zu tun, unsere Lehrer?
Doch. „Die Tagung“, erläutert das Bezirksregierungsdezernat 44, „folgt diesem Postulat“, dem PISA-Postulat als Fachtagungswortsalat an saurem Ethikessig und ranzigem Oberlehreröl, „mit den Mitteln und Möglichkeiten, die Workshops bieten“. So bietet der Workshop 1, „Üben und entdeckendes Lernen in der Grundschule“, als Moderatorin das Borgholzhausener Damennamendoppelungeheuer Silvia Szacknys-Kurhofer auf, die in ihrer Funktion einer Lehrkraft der Gräfin-Maria-Bertha-Grundschule „einen veränderten Übungsbegriff am Beispiel verschiedener produktiver Übungsformen“ einüben lässt, um die neue gesamteuropäische PISA-Leitkultur des „Leitprinzips des entdeckenden Lernens“ zu entdecken. Im Workshop 2, „Sammeln mit Grundschulkindern – Anregungen zum selbständigen Lernen“ propagiert Tutorin Heidi Freudenstein (Grundschule Preußisch Oldendorf) den „praktischen Umgang mit regionalem Fundmaterial“. Mit verbeulten Coladosen? Leeren Limoflaschen? Verrosteten Kondomen? Oder Hula-Hoop-Altautoreifen?
Oder zeigt die Tagung besser dort gefegte „Wege“ auf, wo das Duo Doris Dockhorn/Ingrid Knaack „verschiedene Helfermodelle“ referiert, vom Methadonersatz- bis zum Ausstiegsmodell? Oder in Workshop 12, „Sinnvolles Lernen in einer Schülerfirma“, einem Seminar, das geldgeile Schweinsköpfe mit Westerwelle zu formen verspricht („Die Gründung einer Schülerfirma bietet hierfür in besonderer Weise handlungs- und problemorientierte Lernsituationen“)? Nein, ein „erfolgreiches Weiterlernen“ der lernenden Lehrenden garantiert einzig ernsthaft und fabelhaft final Angebot Nr. 14, geleitet von Thomas Ohm (Laborschule Bielefeld) und Toni Stumm (Olof-Palme-usw.). Name des Arbeitskreises: „Kaffee und Kaffeemaschinen“. Projektbeschreibung (hinsetzen! Bierdose aufreißen! Auf ex trinken!): „Die Teilnehmer sollen an Hand metakognitiv ausgerichteter Strukturen über den selbständigen Umgang mit verschiedenen Kaffeezubereitungsmaschinen unterschiedliche Zubereitungsmethoden kennenlernen … und Unterrichtsbeispiele für den naturwissenschaftlichen Lernbereich erstellen.“
Bitte? Lehrer haben Fürze im Kopf? Bohnen! Kaffeebohnen! Lehrerfortbildung ist Kaffeekochen auf Rädern im Kopf, auf jenen Rädern, die wie Mühlsteine metakognitiv ausgerichtete Strukturbereiche des Schädels zermahlen, bis vollendet betörend-verstörender Duft den vollendet guten Kaffeegenuss unterrichtsbeispielgebend vollendet.
Das wollte uns PISA, das wollte uns DETMOLD doch sagen!
JÜRGEN ROTH
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