: Hieb durch den gordischen Knoten
Ein perfekter Kompromiss ist dann erreicht, wenn alle unzufrieden sind – Geber- wie Nehmerländer
BRÜSSEL taz ■ In Brüssel kommen die Verhandlungen über die besonders teuren Kapitel der Erweiterung in ihre heiße Phase: Für Landwirtschaft und Strukturbeihilfen werden immerhin vier Fünftel des gesamten EU-Haushaltes ausgegeben. Würden die neuen Mitglieder der alten EU-15 finanziell sofort gleichgestellt, ginge die Union Pleite.
Ende Januar legte die Kommission einen Verhandlungsvorschlag für die Landwirtschaft vor, der die Grundvoraussetzungen eines guten Kompromisses erfüllt: Keine der beteiligten Interessengruppen ist damit zufrieden.
Die Kandidaten schimpfen
Die Kandidatenländer schimpfen, wenn auch leise, weil ihre Landwirte zunächst nur ein Viertel der Zahlungen erhalten sollen, die ihren Kollegen in Frankreich oder Portugal zustehen.
Wichtige Nettozahler wie Deutschland, Großbritannien und Österreich äußerten ihre Bedenken, weil ihnen schon 25 Prozent des EU-Subventionsstandards zu teuer sind. Beim Gipfel in Berlin 1999 hatten sich nämlich die Staats- und Regierungschefs darauf geeinigt, den neuen Ländern in den ersten Jahren nach dem Beitritt überhaupt keine Direktbeihilfen in der Landwirtschaft zuzugestehen.
Im Bereich zwischen 7,5 und 9 Milliarden Euro bewegen sich die deutschen und österreichischen Änderungsvorschläge für die laufende Finanzperiode bis 2006. Im Europaparlament schließlich wird moniert, dass die jetzigen Mitgliedsstaaten sich das für die Jahre 2002 und 2003 eingeplante Beitrittsgeld in die eigene Tasche stecken wollen.
Denn wären die ersten neuen Mitglieder, wie noch in Berlin angenommen, schon im Jahr 2002 in die Union aufgenommen worden, wären bis Ende 2003 15,4 Milliarden Euro mehr in den Osten geflossen. In den Jahren 2004 bis 2006 wären noch einmal 2,4 Milliarden zusätzlich fällig gewesen, wie die holländische grüne Haushaltsexpertin Kathalijne Buitenweg vergangene Woche im Europaparlament betonte.
Ein perfekter Kompromiss also – das rechnete auch Haushaltskommissarin Michaele Schreyer den Finanzministern der alten EU bei ihrem letzten Treffen in Brüssel vor. Die Kommission habe die Mittel, die durch die Verschiebung des Beitritts frei werden, schließlich zu gleichen Teilen den alten und den neuen Mitgliedsländern zugedacht.
Ihre Parteifreundin Heide Rühle, die bislang im Haushaltsausschuss des Europäischen Parlaments saß, sieht das genauso. „In meinen Augen hat die Kommission den gordischen Knoten durchschlagen.“
Als „Abgeordnete des größten Nettozahlerlandes“ könne sie nicht so unbefangen weitere Mittel für die neuen Mitglieder einfordern, wie ihre holländische Fraktionskollegin Buitenweg das tue. „Ich will Herrn Eichel nicht verteidigen. Aber man darf nicht vergessen, dass wir die ersten waren, die einen Teil der Osterweiterung bewältigt haben – mit der deutschen Vereinigung. Und von der jetzigen Erweiterung bezahlen wir doch auch wieder 21 Prozent.“
Rutschender Zeitplan
Heide Rühle lobt vor allem die politischen Akzente, die der Finanzierungsvorschlag der Kommission beinhaltet: Auch nach dem Beitritt soll die Verwaltung weiter finanziell unterstützt werden – das zeige, dass man aus den vorangegangenen Erweiterungsrunden gelernt habe. Positiv seien auch die geplanten grenzüberschreitenden Projekte für das geteilte Zypern und die Mittel für die Sicherheit der Nuklearanlagen zu werten. Wenn der Rat – wie vom deutschen Außenminister und seinem holländischen Kollegen gefordert – nun zunächst die umstrittene Agrarreform in Angriff nehmen wolle, bevor neue Länder beitreten könnten, käme damit der ganze Zeitplan ins Rutschen. Das aber könne sich die EU nicht leisten, glaubt Rühle. „Die Union braucht endlich wieder mal einen Erfolg!“ Sie selbst will dem zähen Konflikt zwischen den Sparbedürfnissen der Nettozahler und dem Gestaltungswillen der Parlamentarier in Zukunft lieber aus dem Weg gehen: Rühle hat ihren Sitz im Haushaltsausschuss inzwischen gegen einen Platz im Innenausschuss getauscht.
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