: Auf Knien in die EU rutschen?
Die Frage der Direktbeihilfen sorgt für eine Krise in der polnischen Regierungskoalition – und für Verstimmung zwischen Brüssel und Warschau
aus Warschau GABRIELE LESSER
Polens Bauern sind empört: „Brüssel will unseren Tod! Wir sollen alle Pleite gehen. Nein zur EU!“ Auf Bauernversammlungen werden Streiks, Sternmärsche nach Warschau und Brüssel und Großdemonstrationen erwogen. Zwar rufen die großen Zeitungen Polens immer wieder zu Vernunft und Besonnenheit auf, auch Staatspräsident Kwaśniewski mahnt fast täglich, das große Ziel des EU-Beitritts Polens nicht aus den Augen zu verlieren und nicht durch eine Eskalation des Konflikts um die Agrarfrage das ganze Projekt des Beitritts zu gefährden. Doch auch in der Regierungskoalition aus Demokratischem Linksbündnis (SLD) und Bauernpartei (PSL) kriselt es bedenklich.
Anfang der Woche fuhr Landwirtschaftsminister Jarosław Kalinowski (PSL) nach Brüssel und machte seiner Wut lautstark Luft: „Ein Viertel der Beihilfen für die Bauern der Kandidatenländer und zehn Jahre Wartefrist bis zur völligen Gleichstellung mit den Bauern der Alt-EU ist unannehmbar! In einer EU kann es nicht zwei Landwirtschaftspolitiken geben!“ Sollte Brüssel seine Position nicht revidieren, sehe sich Polen gezwungen, seine Bauern vor den höher subventionierten Produkten der Altmitglieder zu schützen. So wie es einst Spanien gemacht habe, werde Polen auch nach dem Beitritt zur EU Zölle auf die Agrarprodukte der Alt-EU-Mitglieder legen und sie nur stufenweise senken – entsprechend der stufenweise Anhebung der Subvention aus Brüssel.
Gestern versuchte die Regierung eine Art Schadensbegrenzung, doch die fast vierstündige Konferenz endete wie das Hornberger Schießen. Sichtlich um Fassung bemüht erklärte die Europaministerin im Außenministerium Danuta Hübner, dass die Koalitionspartner sich in der Agrarfrage nicht einigen konnten. Die Erklärung der Regierung zum Vorschlag der EU-Kommission werde es daher frühestens am Dienstag geben.
Bis dahin wollen sie die Koalitionspartner auch in der Frage des Landerwerbs für Ausländer einigen: Brüssel wartet bereits seit Wochen auf eine Erklärung, weshalb EU-Ausländer bis zu 12 Jahre warten sollen, bevor sie in Polen Grund und Boden erwerben können. Polen ist das einzige Beitrittsland mit einer so lange Wartefrist. „In der Frage der Direktbeihilfen haben wir aber bis Juni Zeit“, setzte Ministerin Hübner hinzu. Befürchtungen, dass Polen die Verhandlungen so sehr verschleppen könnte, dass es den Beitrittstermin verpasst, trat Außenminister Włodzimierz Cimoszewicz entschieden entgegen: „Bis Ende des Jahres werden wir alle Verhandlungskapitel abgeschlossen haben.“
Die Frage der Direktbeihilfen für Polens Bauern könnte sogar die Koalition sprengen, denn Jarosław Kalinowski ist nicht nur Landwirtschaftsminister, sondern auch Vorsitzender der Bauernpartei PSL. Will er nicht politischen Selbstmord begehen, muss er die Interessen seiner Klientel vertreten. Bislang sieht sich in Polen niemand in der Lage, den Bauern in Polen ehrlich zu sagen, was tatsächlich mit dem Beitritt zur EU auf sie zukommen wird. Das EU-Informationsprogramm der Regierung steht immer noch nicht, obwohl es schon mehrfach angekündigt wurde, und so haben Parolen die Oberhand gewonnen, die das Referendum im nächsten Jahr gefährden können.
Denn längst haben Gefühle des verletzten Nationalstolzes rationale Argumente über den Nutzen den Beitritts verdrängt: Man wolle nicht „auf den Knien“ beitreten, nicht als „Bürger zweiter Klasse“ und schon gar nicht als „Billiglohnland“ behandelt werden, das unfähig sei, die Subventionen richtig einzusetzen. Gäbe es nur eine Bauernpartei in Polen, wäre das Problem noch in den Griff zu bekommen, aber es gibt noch die euroskeptische „Samoobrona“ (Selbstverteidigung) unter dem radikalen Bauernführer Andrzej Lepper, seit September letzten Jahres überraschend drittstärkste Partei.
Kalinowski muss nun als Koalitions- und Juniorpartner der Demokratischen Linksallianz zwei Herren dienen. Einerseits hat er in der Koalitionsvereinbarung zugesagt, alles zu tun, um Polen in die EU zu bringen, andererseits muss er gegen Lepper um das Überleben seiner Partei kämpfen.
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