: Der Alte
Bernhard Jagoda (CSU) – ein Opfer seiner Bürokraten?
NÜRNBERG taz ■ „Der Kapitän geht nicht von der Brücke, wenn Sturm ist – und jetzt ist Sturm.“ So hat Bernhard Joagoda noch vor wenigen Tagen getrotzt. Jetzt wurde Jagoda über Bord befördert – wegen des Sturms. Die Bundesanstalt für Arbeit, deren Präsident er war, hat Vermittlungsdaten geschönt, und er soll diese Praxis wissentlich geduldet haben.
Äußerungen wie „Ach, das ist doch Schnee von gestern“ oder „Das höre ich jetzt schon seit Jahren“, dazu jeweils eine abfällige Handbewegung – das waren typische Reaktionen des 61-Jährigen, wenn seine Behörde in der Vergangenheit in die Schusslinie der Kritik geriet. So war es, wenn die Arbeitsmarktpolitik an sich in regelmäßigen Abständen in Frage gestellt wurde, wenn es um die vermeintlich höheren Erfolgsquoten von privaten Arbeitsvermittlern ging oder eben immer wenn die Effizienz der Mammutbehörde angezweifelt wurde und von „Stempelbude“ oder „bürokratischem Wasserkopf“ die Rede war.
Norbert Blüm hatte den fleißigen CDU-Bundestagsabgeordneten und Sozialexperten als Parlamentarischen Staatssekretär in sein Ministerium gerufen und vor neun Jahren als Nachfolger des in Ruhestand gehenden BA-Präsidenten Heinrich Franke ins Spiel gebracht. Schon bei seiner ersten Pressekonferenz musste Jagoda mit 3,5 Millionen Arbeitslosen einen neuen Rekord verkünden. Im Februar 1998 gab es schließlich 4,82 Millionen Arbeitslose. Und dann litt Jagoda noch unter Kanzler Kohl, der fernab von Wahlterminen durch rigide Einsparungen bei den arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen Jagodas sowieso engen Spielraum weiter einschränkte, um dann kurz vor Wahlen die Schrauben wieder zu lockern.
Jagoda blieb durch und durch Beamter und enthielt sich stets jeglichen Kommentars zur Regierungspolitik. Das behielt der mittlerweile zur CSU übergetretene Behördenchef auch bei, als in Berlin Rot-Grün regierte. Arbeitsminister Walter Rieser verlängerte seine Amtszeit bis 2005.
Nahezu immer verknüpfte Jagoda die Präsentation der aktuellen Arbeitsmarktdaten mit einem Lob für die eigene Behörde. Stolz verkündete er alljährlich neue Vermittlungsrekorde, zuletzt sprach er von „3,9 Millionen Vermittlungen und mehr als 10 Millionen Vermittlungsvorschläge“ im Jahr 2000. Jetzt hat der Bundesrechnungshof errechnet, dass über zwei Drittel dieser angeblichen Jobvermittlungen falsch gebucht wurden. Jagoda stellte sich bislang stets hinter seine Mitarbeiter. Dass er jetzt eine strenge interne Überprüfung anordnete, wirkte wenig glaubhaft, zumal er selbst schon seit 1998 über nicht korrekt verbuchte Vermittlungen Bescheid wusste und Berichte über interne Missstände gerne abbbog. Der Kapitän hatte sein Schiff nicht mehr unter Kontrolle.
BERND SIEGLER
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