: Die Eingebackenen von Altona
Der deutsche Film ist wieder wer. Und Dieter Wedels erster Spielfilm wird noch wedeliger
Bert Buchingers Büro bei der Bavaria in Geiselgasteig hat nichts vom Glamour der Traumfabrik. Kein Trophäenschrank, kein Filmmogul-Schreibtisch von der Größe eines Billardtisches, keine Besetzungscouch. Es ist ein winziges Kabuff mit voll gepackten Regalen an den Wänden, auf dem Schreibtisch stapeln sich Skripts, Exposees und Formulare in schwindelnde Höhen. Es ist die Zelle eines Zelluloid-Freaks, die Einsiedelei eines Eisenstein-Verehrers, die Zitadelle eines Cineasten. Bert Buchinger, Deutschlands Produzent Nummer eins, nennt es „mein Labor“. Hier werden Stoffe entwickelt, Pläne geschmiedet, Visionen entworfen. Wenn BB, wie ihn seine Freunde nennen, über seine Projekte redet, kommt er in Fahrt. Mit seinem knarzenden Bass und weit ausholender Gestik, die unverzichtbare Montechristo in der Rechten, erläutert er dem Besucher das Szenario seines nächsten Films, und wenn Begriffe wie Fördergelder und Landesbildstelle durch die Luft schwirren, dann ist Hollywood ganz nah.
Ein Filmproduzent, zumal in Deutschland, sieht sich heutzutage mit außerordentlichen Herausforderungen konfrontiert. Sein Überleben im hart umkämpften Filmbusiness hängt von der Fähigkeit ab, zu erkennen, ob ein Stoff das Zeug zum Blockbuster hat. Doch neben der Sensibilität für Zeitströmungen muss er über den Killerinstinkt verfügen, der es ihm gestattet, sich im Dschungel des Filmmarkts durchzusetzen und skrupellos seine Vorteile zu nutzen.
Bert Buchinger hat beides. Er ist einer der wenigen in Deutschland, die diesen Spagat erfolgreich aushalten und immer wieder beweisen, dass sie auch mit deutschen Produktionen Kasse machen und Hollywoods Vorherrschaft die Stirn bieten können. Jüngstes Beispiel ist „Das Brot“, der erste Kinofilm des renommierten TV-Regisseurs Dieter Wedel, der zusammen mit Buchinger diesen packenden Actionthriller entwickelt hat: In eindringlichen Bildern wird die Geschichte von sechs jungen Hamburger Bäckern erzählt, die mit der Herstellung eines gigantischen Holzofenbrotes ins Guinness-Buch der Rekorde kommen wollen. „Wedel behandelt dieses urdeutsche Thema mit so viel Gespür für Timing, wie es schon lange nicht mehr in unseren Kinos zu sehen war“, schwärmt Buchinger über seinen neuen Hoffnungsträger.
Während der Teigzubereitung kommt es zum Krieg um die Ölfelder des Irak. Um der drohenden Katastrophe zu entkommen, beschließen die fabelhaften Bäckerjungs, sich in dem vier mal drei Meter großen Brot miteinzubacken. Während das Brot in dem eigens gebauten riesigen Steinbackofen langsam seine Kruste bildet, überleben sie als einzige Deutsche in ihrem Teigbunker den atomaren Schlagabtausch. Da aber die Eingebackenen von Altona, von unsäglichem Hunger gequält, beginnen, das Innere des Brots zu essen, wird der schützende Teigmantel dünner und dünner: Das Brot wird so zum Symbol der nährenden, aber auch gefährdeten Welt, in der Wedel seinen Mikrokosmos menschlicher Leidenschaften lebendig werden lässt. „Dagegen ist ‚Independence Day‘ kalter Kaffee“, urteilt Buchinger, „der Schluss haut einen glatt um.“
Als nach zwei Wochen das Brot restlos ausgehöhlt ist und sich die Bäcker zum Ausstieg entschließen, erweist sich die bislang lebensrettende Brotkruste als tödliche, weil undurchdringliche Falle: Die äußere Bedrohung ist in eine innere umgeschlagen, aus der schützenden Geborgenheit wird ein steinhartes Gefängnis. Nach mehreren erfolglosen Ausbruchsversuchen zermürben sich die Bäcker schließlich in Diskussionen um die Frage, ob es nicht doch besser gewesen wäre, kleinere Semmeln zu backen.
„Absoluter hard stuff“, meint Buchinger – und in der Tat: Der vom deutschen Bäckerhandwerk koproduzierte Film besticht durch die atmosphärisch dichte Beschreibung menschlichen Geworfenseins in einer sämtlicher etablierten Werte verlustig gegangenen, den Menschen in seiner innersten Existenz bedrohenden Welt und ist gleichzeitig eine packende Parabel über die verheerenden Auswirkungen des Nachtbackverbots. Fragen, ob das internationale Publikum Geschmack an diesem Vollkornfilm finden kann, wischt Buchinger mit einer auf das Merchandising anspielenden Bemerkung vom Tisch: „ ‚Das Brot‘ wird ein Blockbuster. Schließlich ist es nicht nur ein abendfüllender, sondern auch ein magenfüllender Film.“ RÜDIGER KIND
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