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Zu Hause auf Beikarte II

Mario Czaja ist der Vorzeigeostler der Berliner CDU und vielleicht ihr neuer Generalsekretär. Doch manchen Parteifreunden muss er noch erklären, dass sein Wahlkreis nicht hinterm Ural liegt. Dort ist auch sein Bruder aktiv

von STEFAN ALBERTI

Zehlendorf, ein Bürgersaal, holzgetäfelt, gediegen. Die christdemokratische Partei hat eingeladen, den Feind und den Misserfolg zu analysieren. Knapp 100 Leute sind gekommen. Auch eine Frau Anfang 40. Ihre Partei müsse eben in den Osten gehen, sagt sie, „von unserer Lebenseinstellung erzählen und Werte beibringen.“ Der Osten liegt nur zehn S-Bahn-Stationen weiter, doch wie sie das sagt, klingt es nach Ural und Sibirien. Auf dem Podium vorne müsste Mario Czaja jetzt zusammenzucken. „Werte beibringen“. Im Jahr zwölf nach der Einheit.

Aber Czaja zuckt nicht. Er hört das nicht zum ersten Mal. Er ist ja da, um so etwas zu hören. Sie haben ihn nach Zehlendorf eingeladen, damit er ihnen den Osten und die PDS erklärt – er, der Vorzeigeostler aus Hellersdorf, 26 Jahre alt und Fraktionsvize der Christdemokraten im Abgeordnetenhaus.

Zwölf Prozent hat die CDU in den östlichen Stadtteilen geholt, die PDS fast vier Mal so viel. Von Undankbarkeit sprechen Einzelne in Zehlendorf: Sie hätten doch den Gürtel enger geschnallt und Opfer gebracht, damit es den armen Ostlern besser geht.

Czaja wirkt vor der Holztäfelung des Saales wie ein Oswald Kolle der Politaufklärung. Nicht die Frau, die PDS ist hier das unbekannte Wesen. Er habe mit den Genossen Erfahrung, „inklusive einer Woche in Hohenschönhausen“, meldet sich ein Mittfünfziger. Er hätte auch sagen können, in der Zone, jotwede, janz weit draußen.

Vielleicht orientiert sich der Mann am Falk-Stadtplan. Der hat für Mario Czajas Heimat nur auf der Rückseite Platz, auf „Beikarte II“. Mahlsdorf-Kaulsdorf heißt sein Wahlkreis. Das gallische Dorf, hat Czaja mal geworben, einzige CDU-Bastion unter sieben Wahlkreisen im Bezirk – bis die PDS im vergangenen Herbst dort ihren Star Gregor Gysi aufstellte und ihm das Direktmandat abnahm.

Beikarte II führt in eine Gegend mit zweigeschossigen Eigenheimen, freistehend mit Garten drumherum. Bei vielen ist das Dach oder die Fassade neu. Czaja zitiert Statistiken, nach denen das Haushaltseinkommen höher ist als in Dahlem. Maybrit Illner wohne hier, sagt er, DDR-Schlagerstar Frank Schöbel und einer von den Puhdys.

Czajas Büro in Mahlsdorf liegt nur ein paar hundert Meter von seinem Elternhaus. Elektriker ist der Vater, Krankenschwester die Mutter. Er selbst hat Versicherungskaufmann und Finanzwirt gelernt und arbeitet in Teilzeit für eine Kapitalmanagement-GmbH in Potsdam. Das sei sein Standbein, die Politik – mit monatlich fast 3.000 Euro fürs Abgeordnetenmandat – hingegen das Spielbein.

Bei anderen Parlamentariern steht „Mitglied der CDU-Fraktion“ an der Tür. Bei Czaja steht „Bürgerbüro“. Er druckst ein bisschen herum, um nicht sagen zu müssen, dass mit dem Parteinamen in Mahlsdorf-Kaulsdorf nicht viel zu gewinnen ist. Die Großplakate von Spitzenkandidat Frank Steffel hielt er aus dem Wahlkreis raus, auf seinen eigenen warb er mit 1.400 Kanalisationsanschlüssen und hielt das CDU-Logo klein.

„Mir ist nicht bekannt, dass Czaja mal eine klare christdemokratische Position bezogen hat“, sagt ein Kollege aus dem CDU-Fraktionsvorstand. Czaja sieht das anders, aber ein Blick ins Archiv stützt eher die Gegenposition.

In seinem Wahlkreis hat er eine Gesprächsrunde installiert. Wirtschaftsleute zählt er dazu, darunter auch Wolfgang Berghofer, den letzten Dresdner Oberbürgermeister mit SED-Parteibuch. Der war in Wendezeiten kurzfristig Vizechef der SED-PDS, trat Anfang 1990 aus der Partei aus, wurde später wegen Wahlfälschung verurteilt und gründete in Berlin eine Beratungsfirma.

Die CDU soll die Menschen mit ihren Ostbiografien begreifen, nicht umerziehen wollen, verlangt Czaja von seiner Partei. Er erzählt vom Nachwendeaufsteiger, der mit Daimler und Reihenhaus eigentlich CDU wählen müsste, aber für Gysi stimmt, „weil er sich anderswo emotional nicht aufgehoben fühlt.“ Zwischen PDS und Grünen sieht er eine Parallele: So wie die Grünen die anderen Parteien zu den Umweltthemen brachten, habe die PDS auf ostdeutsche Probleme aufmerksam gemacht. Programmatisch will er die PDS angehen, „und das funktioniert nicht mit Klassenkampf.“

In diesen Tagen hat Czaja offen seinen Fraktionschef Steffel als Parteivorsitzenden abgelehnt. Er kann sich das leisten, genauso wie eine Biographie mit Kriegsdienstverweigerung. Die Berliner CDU hat im Osten außer ihm kaum prägende Figuren. Andere sind dort aus der ersten Reihe verschwunden, wie sein Förderer Elmar Pieroth, der frühere Finanz- und Wirtschaftssenator. Der knüpfte ab Mitte der 90-er die ersten Kontakte zur PDS, als er sich mit der linken Spitzenfrau Petra Pau aufs Sofa setzte und das als Wohnzimmergespräche vermarktete. Czaja will nicht von Vorbild sprechen, aber Pieroth habe ihn sehr geprägt.

Der Exsenator sagt von ihm, er sei hellwach, rhetorisch gewandt und habe viel Zukunft. „Wenn er keine großen Fehler macht, wird er in der CDU seine Karriere machen“, meint der aktuelle Senator Gregor Gysi, Czajas Wahlkreisgegner. Er sieht ihn als einen, „der alles mit Lust und Leidenschaft macht“. Der Czaja sei kein Kalter Krieger, der gehe pragmatischer an die Dinge heran.

Derartige Erfolgsprognosen erhärten sich, denn Czaja wird nun neben anderen als zukünftiger Generalsekretär der Landes-CDU gehandelt. Natürlich weist er, wie in solchem Fällen üblich, alle Ambitionen von sich, natürlich muss er sagen, dass allein der Parteichef das Vorschlagsrecht hat. Aber ganz dementieren mag er nicht.

Marzahn, der Sitzungssaal der Bezirksverordnetenversammlung. Mario Czaja ist auf dieser Ebene 1995 in den Parlamentsbetrieb eingestiegen. Knapp 20 war er damals. Jetzt steht wieder „Czaja“ auf der Mitgliedsliste. Sebastian C. ist erst 18, seit der Oktoberwahl Bezirksverordneter und keiner, der sich erstmal im Hintergrund hält. Zu Wochenbeginn hat er zusammne mit seinen stadtweit jüngsten Kollegen aus PDS und FDP den Regierenden Bürgermeister Wowereit per offenem Brief zu Kaffee und Kuchen in den Bezirk eingeladen. Eine Art Schumi II, der den älteren Bruder als Vorbild bezeichnet und sich zugleich dagegen wehrt, als Kopie abgestempelt zu werden. Der Mario, sagt er, der könne zuhören, könne auf Menschen zugehen.

In der Unionsfraktion sind nicht alle so begeistert von seinem großen Bruder. Kurt Wansner etwa, 54 und CDU-Chef in Friedrichshain-Kreuzberg, der keine Möglichkeit für Gespräche mit der PDS sieht – für ihn eine linksradikale Partei. Doch, für den Herrn Czaja sei immer Raum in der Union, „aber dass seine Position Platz greift in der CDU, ist nicht zu befürchten.“

Zumindest nicht für die Parteifreunde im Zehlendorfer Bürgersaal. Anderswo erzählt Czaja schon mal, dass ein wegen einer IM-Akte geschasster Pförtner nicht versteht, warum Helmut Kohl so gut aus der Spendenaffäre herauskommt. „Aber dort“, sagt er, „hätten sie mich dafür zerrissen.“

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