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Entscheidung für den Stillstand

Auch wenn das Veto des Kartellamtes den Wettbewerb im deutschen Medienmarkt fördern soll: Vorteile für die TV- und Kabelkunden bringt es nicht

von STEFFEN GRIMBERG

Das deutsche Kabelfernsehen gehört ab sofort wieder ganz überwiegend – der Deutschen Telekom. Das Bundeskartellamt untersagte gestern offiziell den Verkauf von sechs Kabelnetz-Regionen mit insgesamt zehn Millionen angeschlossenen Haushalten an den US-Konzern Liberty Media.

„Der Zusammenschluss würde die Wettbewerbsstruktur auf den deutschen Kabelmärkten deutlich verschlechtern“, begründete Kartellamtspräsident Ulf Böge die Entscheidung. Liberty erhielte mit der Übernahem von rund 60 Prozent des deutschen Kabelnetzes eine marktbeherrschende Stellung. Für die Kunden in den vom Liberty-Deal betroffenene Regionen (siehe Karte) sahen die Wettbewerbshüter auch die „Gefahr von Preiserhöhungen“ voraus. Zudem habe der Konzern keine „verlässlichen Zusagen“ zum Ausbau des TV-Kabels als Telefonnetz und für schnellen Internetzugang gemacht. Da sei es doch besser, wenn die Telekom vorerst Eigentümer der Netze bleibe.

Doch die dürfte sich bedanken: 5,5 Milliarden Euro sollte Liberty für die Kabelnetze überweisen, die die Telekom zum Abbau ihrer Schulden in Höhe von rund 65 Milliarden Euro fest eingeplant hatte. Für den halbstaatlichen Konzern, der sich aus Wettbewerbsgründen vom TV-Kabel trennen muss, fängt jetzt der Verkaufsmarathon von vorne an: „Wir beginnen praktisch neu“, sagte ein Sprecher. „Man muss sehen, wie sich das entwickelt.“

Auch wenn die Kartellamtsentscheidung formal mehr Wettbewerb im deutschen Medienmarkt ermöglichen soll: Vorteile für die TV-Zuschauer und Kabelkunden bringt sie nicht. Rund 8,3 Milliarden Euro hatte Liberty bis 2010 in den Ausbau der veralteten Telekomnetze stecken wollen. Mehrere bisher analog genutzte Kabelfrequenzen sollten umgehend digitalisiert werden und die Zahl der empfangbaren Programme von derzeit maximal 35 auf über 100 erhöhen. Jetzt droht anstelle des raschen Einstiegs ins digitale Fernsehzeitalter und einer sprunghaft steigenden Programmvielfalt der Stillstand. Von der Telekom sind keine Investitionen ins Kabel zu erwarten. Neue, ernstzunehmende Käufer, die neben den Summen für den Kauf der Netze auch noch die Milliarden für deren Ausbau mitbringen, sind derzeit keine in Sicht.

Als Sieger fühlen können sich dafür die etablierten deutschen TV-Anbieter. Sie bekommen bis auf weiteres keine Konkurrenz. Öffentlich-rechtliche wie private Sender hatten als offiziell „Beteiligte“ am Kartellverfahren stets auf das umfangreiche Unternehmensportfolio von Liberty-Chef John Malone verwiesen. Denn der Medienunternehmer, der direkt oder über Beteiligungen (wie an Rupert Murdochs Medienholding News Corporation) diverse TV-Kanäle und Produktionsfirmen kontrolliert, hätte in einem deutschen Liberty-Kabelnetz natürlich auch seine eigenen Programme und Formate ausgestrahlt.

Die einmütige Lobbyarbeit von ARD bis RTL hilft dabei vor allem dem angeschlagenen Medienunternehmer Leo Kirch. Der braucht nun keine weiteren Angebote neben seinen nicht eben erfolgreichen Free-TV-Spartenangeboten wie dem Nachrichtenkanal N 24 und dem Deutschen Sportfernsehen DSF zu fürchten. Auch Malones Pläne, mit einem eigenen Pay-TV-Angebot Kirchs Hauptsorgenkind Premiere Konkurrenz zu machen, sind nun vom Tisch. Vor allem aber bleibt der Programmhändler Kirch unumstrittener Hauptlieferant für TV-Ware im deutschen Fernsehmarkt – seinem bis heute einträglichsten Geschäftsbereich.

Kritik an der Kartellamtsentscheidung kommt dagegen von unabhängigen Spartenanbietern wie den Universal Studios Networks (USN), die derzeit nur über Kirchs Premiere-Platform senden, aber auch eigene Kabel-Pläne hegen: „Wir steuern mit Volldampf auf eine Kabelruine zu. Einige Propagandisten waren im Kartellverfahren erfolgreich, doch viele Markteilnehmer werden den Ausgang noch bedauern“, sagte USN-Chef Wolfram Winter der FTD.

Liberty hatte den Kampf ums deutsche Kabel bereits vor drei Wochen nach einer ersten Rüge des Kartellamts aufgegeben. Das Unternehmen nutzte die Frist bis zum gestrigen Entscheid nicht zu Nachbesserungen am Übernahmeangebot, sondern für markige Verlautbarungen: Die Wettbewerbshüter hätten die Wahl „das deutsche Kabelnetz entweder in der gegenwärtigen technologischen Erstarrung zu belassen“ und das Telekom-Monopol für Kabel-TV, Internet- und Telefondienste zu stärken, oder „einem Investor zu ermöglichen, das Potential des Breitbandkabelnetzes zu heben (...) und zum Nutzen der Verbraucher (....) zu entwicklen“, schrieb der Konzern als Antwort auf den „blauen Brief“ aus Bonn.

In der deutschen Kabelwelt mitmischen wird Liberty aber weiterhin: Der Konzern will weiterhin einige kleinere deutsche Kabelfirmen aufkaufen. Und John Malone interessiert sich bereits für das in wirtschaftlichen Schwierigkeiten steckende Unternehmen NTL, den größten Kabelbetreiber Großbritanniens. NTL ist wiederum Hauptgesellschafter der Firma eKabel/iesy. Die hatte im vergangenen Jahr – von der Telekom das Kabelnetz in Hessen gekauft. Wie lautete doch gleich Malones Motto: „Unsere Tür ist immer offen für Geschäfte“.

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