: Die letzte Mark geht aufs Klo
Heute endet die Selbstverpflichtung des Handels. Dann zählt die D-Mark nur noch bei der Landeszentralbank oder in den Toiletten auf dem Alex
Der guten alten Mark schlägt das letzte Stündchen. Denn bis heute will der Handel laut Selbstverpflichtung die fast schon historische Währung akzeptieren. In der Praxis stehen Markfans aber schon seit Wochen vor verschlossenen Kassen.
„Die Leute hatten zwei Monate Zeit ihre Märker loszuwerden. Wir sind doch keine Wechselstube“, sagt Guy Mau, Tankstellenpächter an der Neuköllner Karl-Marx-Straße. Seit über einer Woche sei die Kasse umgestellt. „Natürlich wollen wir den Spieß nicht an die Kunden abgeben“, sagt Mau ebenso beschwichtigend wie rätselhaft. „Vom Hof schieben muss sein Auto keiner.“ Aber wer sein Schwarzgeld loswerden wolle, habe bei ihm keine Chance. „Wenn die mit einem Fünfhundertmarkschein eine Schachtel Marlboro kaufen wollen, mach ich nicht mit.“ Eine Mitarbeiterin setzt nach: „Bei mir war sogar mal einer mit ’nem Tausendmarkschein und wollte Zigarettenpapierchen für 45 Cent.“ Solche Dimensionen sind Gabrielle Martens fremd. Mit Fünfmarkstücken ist man aber auch bei ihr an der falschen Adresse. Ein Schild an ihrem U-Bahn-Kiosk am Hermannplatz verkündet: „Wir nehmen Zahlungen in DM-Beträgen entgegen bis Samstag 16.02.02.“ Warum gerade der 16. ihr Stichtag war, weiß sie allerdings nicht. „Das hat der Chef so festgelegt. Wahrscheinlich wegen der Abrechnung oder so.“ Nur bei den Zehn-Pfennig-Gummibärcheneinkäufen ihrer jugendlichen Kundschaft lässt sie sich erweichen. „Kleine Kinderchen schicke ich nicht weg. Die verstehen das ja gar nicht“, sagt sie mütterlich.
Keine Chance hat die Mark in den Läden des Europacenters am Kudamm. Der Name verpflichtet. „Seit dem 1.Februar müssen wir alle wegschicken, die mit D-Mark zahlen wollen“, sagt Joanna Swiniaski, Verkäuferin im Kleidergeschäft „Made in Italy Store“. Selbst für ein Bier ist die Mark in dem Einkaufscenter nicht mehr gut genug. „Seit drei Wochen nehem wir nur noch Euro“, sagt William Clarke, der im Irish Pub hinter den Tresen steht. Gestern hätten ihn allerdings ein paar Letten drangekriegt. Nach dem Zechen legte jeder der zwölf Männer einen Hundertmarkschein auf den Tisch. „Die wussten, dass die Mark ab Freitag nicht mehr gilt und sind extra mit einem Bus nach Berlin gefahren, um die letzten Scheine loszuwerden.“
Statt Bier gibt es höchstens Cola. Mag zwar vieles gegen den Fast-Food-Riesen McDonald’s sprechen, die D-Mark tut es nicht. Ohne aufzuschauen tippt Supranee Hagen die Bestellung ein und drückt auf die Umrechnungstaste. „Bis Donnerstagabend nehmen wir noch Mark. Wäre ja schade drum.“ Auch im Kaufhof am Alexanderplatz kann man Restbestände loswerden, sagt eine Verkäuferin.
Doch ab 1. März zählt die Mark fast nur noch am Hausvogteiplatz. Hier wechselt die Landeszentralbank (LZB) weiter Mark und europäische Währungen. Gebühren kostet das nicht. Zeit und Geduld sollte man allerdings mitbringen. „Manche warten eineinhalb Stunden um 100 Drachmen (rund 29 Cent) umzutauschen“, sagt Bernd Ziegler, Girobeauftragter der LZB und schaut ungläubig auf die Menschenschlange. Auch in den kommenden Tagen rechnet er mit Wartezeiten. „Es gibt nur eine Wechselstelle für drei Millionen Berliner.“ Erleichterung können sich Markbesitzer am Alexanderplatz verschaffen. Toilettenfrau Liane Kohrke denkt geschäftsbewusst und akzeptiert weiterhin D-Mark. „Wir behandeln die dann wie eine Fremdwährung.“ THILO KUNZEMANN
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