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Staat zahlt Heroin für Hardcore-Junkies

Die Schweiz machte es erfolgreich vor: Modellprojekt „Heroinabgabe an Schwerstabhängige“ startet in Bonn

BERLIN taz ■ Der Startschuss für den Modellversuch „Heroinabgabe“ wurde gestern in Bonn gegeben. Die „Heroinklinik“, an der so genannte Schwerstabhängige unter wissenschaftlicher Aufsicht Heroin verabreicht werden soll, wurde von der Drogenbeauftragten der Bundesregierung Marion Casper-Merk (SPD) und der NRW-Gesundheitsministerin Birgit Fischer (SPD) eröffnet. Hier sollen ab kommendem Montag 50 Junkies reines Heroin erhalten, einer Vergleichsgruppe wird Methadon verabreicht.

Schon 1995 hatte die Stadt Frankfurt am Main beantragt, Heroin kontrolliert abgeben zu dürfen, doch das Bundesinstitut für Arzneimittel lehnte dies damals ab. Die rot-grüne Regierung unterstützt nun den neuen auf drei Jahre angelegten Versuch. Insgesamt 1.200 Schwerstabhängige werden in sieben Großstädten teilnehmen. Die Aufnahme ist streng reglementiert: Die Probanden müssen mindestens 23 Jahre alt sein und seit über fünf Jahren Heroin spritzen.

Für die Durchführung entschied sich der Bundestag aufgrund guter Erfahrungen in der Schweiz. Seit 1994 verordnen dort Ärzte Heroin. Das Schweizer Bundesamt für Gesundheit meldet, dass sich der Gesundheitszustand der Süchtigen in den 21 teilnehmenden Städten deutlich verbessert habe. So gab es etwa weniger HIV-Fälle. Auch die Zahl der Todesfälle sank, da die Junkies kein von Dealern verunreinigtes Heroin mehr konsumieren. Sie leben seltener auf der Straße, rund 40 Prozent fanden Arbeit, die Beschaffungskriminalität ging zurück.

Schon 1995 hatte der Kölner Volkswirt Wolfgang Gersemann die staatliche Vergabe von Heroin gefordert, weil sich die Kosten für Strafverfolgung und durch die Sucht verursachte Straftaten und Krankheiten auf jährlich 6,5 Milliarden Euro beliefen. Diese Kosten, argumentierte Gersemann mit Hinweis auf die Schweiz, ließen sich durch die Heroinabgabe deutlich vermindern. Einziger Wermutstropfen: Den Ausstieg aus ihrer Drogensucht fanden die wenigsten der Teilnehmer.

Experten kritisieren, dass die Beschränkung des Modellprojekts auf Schwerstabhängige zu einer „Zwei-Klassen-Sucht“ führe. Zudem hätten die Deutschen auf die Schweizer Erfahrungen zurückgreifen können, anstatt ein eigenes, teures Modellprojekt durchzuführen. Verlässliche Angaben über die Gesamtkosten gibt es noch nicht, in Nordrhein-Westfalen rechnet Birgit Fischer mit Kosten von rund 2,4 Millionen Euro für die beiden Standorte Bonn und Köln. NADIA LEIHS

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