Stimmungssieg für Schröder

Die CDU/CSU-Blockade beim Zuwanderungsgesetz gibt Rätsel auf: Will die Union auf moderne Wechselwähler verzichten? Will Brandenburg sich die Zustimmung im Bundesrat in letzter Minute abkaufen lassen? Ein Überblick über fünf mögliche Szenarien

von BETTINA GAUS
und ULRIKE HERRMANN

Der Kanzler hat gewonnen. Denn niemand versteht noch die Union – sogar Bild staunte gestern über die Zuwanderungspolitik von CDU und CSU: „Die Union schaltet auf stur! Dabei erfüllt der Kanzler … weitgehend ursprüngliche Forderungen der Union.“ Und wer erst als „stur“ gilt, hat bei den flexiblen Wechselwählern längst verloren.

Im Bewusstsein dieses Stimmungssieges lehnte die rot-grüne Mehrheit gestern im Innenausschuss des Bundestages ab, was die Opposition so dringend gefordert hatte: das Zuwanderungsgesetz erst in zwei Wochen im Bundestag zu verhandeln. Das Parlament wird das Gesetz wie vorgesehen schon am Freitag beraten. Und am 22. März ist es dann im Bundesrat.

Dazwischen werden „drei aufregende Wochen“ liegen – so prognostiziert es der brandenburgische Innenminister Jörg Schönbohm (CDU). Denn Rot-Grün fehlen genau vier Stimmen, um das Gesetz im Bundesrat durchzubringen. Genau die vier Stimmen, die die große Koalition in Brandenburg beschaffen könnte. Aber ob sie das tut?

Bei einer Veranstaltung der Konrad-Adenauer-Stiftung gelang es Schönbohm am Dienstagabend, eindeutig uneindeutig zu bleiben. Zunächst ließ er keinen Zweifel daran, dass die Union das Thema Zuwanderung im Wahlkampf nutzen will. So sprach der brandenburgische Innenminister ausführlich über die überdurchschnittlich hohe Arbeitslosigkeit bei Ausländern und über die Zuwanderung „vor allem in unsere Sozialsysteme“.

Doch trotzdem blieb der brandenburgische Innenminister beim Thema Zuwanderungsgesetz vage. Eine kategorische Absage jedenfalls klingt anders als Schönbohms letzte Sätze: Falls Rot-Grün das Gesetz ohne die Union verabschiede, „verschlechtern sich die Chancen enorm, dass es im Bundesrat zu einer Einigung kommt.“ Er sei „skeptisch“ – aber „noch haben wir drei Wochen Zeit“.

Was aber kann in diesen drei Wochen passieren? Denkbar sind mindestens fünf Varianten:

Nummer I: Die Führungstroika der Union – Edmund Stoiber, Angela Merkel und Friedrich Merz – wollen das Zuwanderungsgesetz um jeden Preis blockieren, um ihr schönstes Wahlkampfthema zu behalten. Denn andere zugkräftige Themen konnten von der Union bisher nicht aufgespürt werden – zumal schon Stoibers erste Woche als Kanzlerkandidatallen klar machte, dass auch eine Unionsregierung nicht auf die Ökosteuer verzichten könnte, dass Steuersenkungen an den Ländern scheitern und dass jede Neuverschuldung eine EU-Beschwerde auslöst. Bleibt also nur das bewährte Angst- und Hassthema „Ausländer“. Doch erreicht dies keine Wechselwähler, sondern höchstens die angestammten Unionswähler.

Nummer II: Schönbohm und sein Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) pokern gemeinsam, lassen sich ihre Zustimmung im Bundesrat teuer mit Sonderzuwendungen des Bundes abkaufen. Die entsprechenden Vorbilder der Steuer- und Rentenreform gibt es ja. Für immer noch friedliche Eintracht in Potsdam spricht, dass Stolpe bisher „keine Gefahr“ für seine große Koalition erkennen kann. Und gepokert wird auch – die brandenburgische Landesregierung ließ gestern wissen, dass sie sich „frühestens“ am 19. März und „spätestens“ am 22. März entscheiden will, wie sie im Bundesrat abstimmt.

Nummer III: Die Führungstroika der Union erkennt rechtzeitig, dass Schönbohm nicht mehr einzubinden ist. Die Weltschlägt für diesen Fall vor, die Abstimmung im Bundesrat freizugeben. „Stoiber wäre dann zwar kein Gewinner, aber verloren hätte er auch nicht.“ Stimmt.

Nummer IV: Schönbohm bleibt seiner Unionsführung treu, aber Stolpe setzt sich über den Potsdamer Koalitionsvertrag hinweg und stimmt im Bundesrat einfach trotzdem für das Zuwanderungsgesetz. Damit würde die große Koalition in Brandenburg trotz ansonsten guter Stimmung platzen – nicht sehr wahrscheinlich. Und noch eine rot-rote Koalition auf Länderebene würde außerdem die Bundes-SPD belasten.

Nummer V: Die ganze Konzentration auf das Abstimmungsverhalten von Brandenburg ist unsinnig, weil sich inzwischen die PDS gegen das Zuwanderungsgesetz sträubt. Die Vorsitzende Gabi Zimmer meinte gestern, „voraussichtlich“ würden die PDS mitregierten Länder Berlin und Mecklenburg-Vorpommern dem Zuwanderungsgesetz im Bundesrat nicht zustimmen.

„Voraussichtlich“ ist jedenfalls nichts vorauszusehen in diesem großen Spiel um das Zuwanderungsgesetz. Außer, dass der Kanzler schon gewonnen hat.