: „Das Ganze war eine Wissensquelle“
Es hat sogar Leute gegeben, die haben gegen eine komplette Sammlung einen Lada getauscht: Ein Gespräch mit dem Literaturwissenschaftler Thomas Kramer über die Geschichte und aktuelle Situation des einstigen DDR-Comics „Mosaik“
Interview: KIRSTEN KÜPPERS
taz: Herr Kramer, Mosaik-Hefte gehören zur DDR-Massenkultur. Heitere Kobolde wie die Digedags sind Comic-Helden für alle Altersgruppen gewesen.
Thomas Kramer: Ja, das wurde gelesen von der Wiege bis zur Bahre, ganz einfach in Ermangelung von guter Unterhaltungsliteratur. Das Traurige war ja, dass erst jemand aus dem Abonnement wegsterben musste, damit man ein neues Abonnement für Mosaik erhielt. Es gab nur ein bestimmtes Kontigent an Heften.
Wie ist der Staat auf die Idee gekommen, ein Comic zu drucken? Galt das in den Fünfzigerjahren nicht als dummer Schmutz aus Amerika?
Das war natürlich der Hintergrund. Im Osten war man gerade deshalb auf der Suche nach einem Gegenpart zu den Comics und Abenteuerheftchen, die aus dem Westen einströmten. 1955 kam Hannes Hegen zum Verlag „Neues Leben“ und schlug eine lustige „Bilderzeitschrift“ vor, das Wort „Comics“ kommt ihm bis heute nicht über die Lippen. Hegen hatte bereits das populäre Rumpelmännchen gestaltet, was zum Altstoffsammeln aufrief, er war also ein ziemlich guter Zeichner und Grafiker.
Später wurde aber im Kollektiv gearbeitet.
Ja, ab 1957 gibt es das sogenannte Mosaik-Kollektiv, Lothar Dräger kam dazu. Dadurch, dass Dräger Opernkunde studiert hatte und vom Theater kam, bringt er eine Dramaturgie in die Geschichten, auch seine eigenen Lektüreerlebnisse fließen ein, Abenteuerbücher von Karl May zum Beispiel.
Wie unterschieden sich die Mosaik-Hefte von westlichen Comics?
In der DDR war man sehr stark den bürgerlichen Werten verhaftet, gerade in Abgrenzung gegen die sogenannte amerikanische Unkultur. In den Kinder- und Jugendzeitschriften galt es, Wissen zu vermitteln. 1955 fangen die Mosaik-Comics mit exotischen Robinsonaden an, eine durchgehende Story gibt es aber nicht. 1956 kommt dann die sogenannte Rom-Serie. Da wird die Antike auf die Schippe genommen, und das lange vor Asterix. Die Serie lief ein Jahr. Im Westen hätte es sich wahrscheinlich kein Comic leisten können, über lange Zeiträume hinweg, nur ein einziges Thema zu behandeln, auch in der Konkurrenz hätte das gar nicht bestanden. So hat sich Mosaik aber durch die ganzen historischen Stoffe gearbeitet. Das geschah natürlich auch auf Druck der Staatsmacht.
Ein didaktischer Anspruch also.
Es gab eine Science-Fiction-Serie, wo die Digedags aus Versehen in eine außerirdische Rakete marschieren. Die Rakete hebt ab und auf einmal sind sie in einer anderen Welt. Einer Welt, die der DDR, wie man sie sich in dieser Zeit wünscht, sehr ähnlich ist: mit Automatenrestaurants und Wundern der Atomkraft. Zwei Jahre lang reisen die Digedags auf alle Großbaustellen des Sozialismus. Sie beschäftigen sich mit Erdöl und es wird sehr viel Polytechnik erklärt. Das Ganze war eine Wissensquelle.
Das klingt nicht gerade nach Spaß.
Bei Mosaik waren immer die historischen Quellen wichtig, man fand stets ein Abenteuerbuch, ein Nachschlagewerk, einen Film oder ein Gemälde, wo man weitermachen konnte. Viele weiße Flecken im DDR-Geschichtsunterricht erschloss man sich durch das Mosaik-Heft. Zudem eröffnete es exotische Welten. Die Digedags reisen an den persischen Golf, in den Balkan oder ins klassische Venedig. Das waren ja alles Orte, die man nicht kannte, die sich für DDR-Bürger seit 1961 touristisch verschlossen. Der Spaßfaktor erhöhte sich auch unheimlich mit dem bis heute wohl beliebtesten Mosaikhelden: dem Ritter Runkel von Runkelstein. Der ist so populär im Osten, dass 1992, als es in Berlin dieses Theater gab um die Umbenennung des Wilhelm-Piek-Platzes, irgendwelche Scherzbolde nachts den Platz in Ritter Runkelplatz umtauften und überall die Schilder überklebten. Da war die Heftchenserie schon über 20 Jahre passé.
Wie stark hat der Staat in die Produktion bei Mosaik eingegriffen?
Das wird oft überschätzt. Die Mosaik-Schöpfer wussten natürlich, dass sie nicht aus der Reihe tanzen durften. Theater gab es trotzdem oft. 1957 ließen die Mosaik-Zeichner auf der Titelseite römische Soldaten an Fallschirmen über Rom abspringen. Auf den Fallschirmen hatten die Zeichner Adlerköpfe aufgemalt. Das erbitterte die Zensur, weil dieser Adler dem Wappentier des Klassenfeindes, der BRD, glich. Der Adler musste wegretouchiert werden. Solche Fälle gab es immer wieder. Es wurde bemängelt, dass die Leiden des werktätigen Volkes nicht ausführlich beschrieben worden sind usw … Aber im Lauf der Jahre wurde der Umgang immer lockerer. Freilich stand im Mosaik-Heft nie etwas wirklich subversives.
Haben die Mosaik-Hefte den Alltag in der DDR überhaupt thematisiert?
Es gab immer wieder Anspielungen. 1975 kommt ein türkischer Sultan vor, der eine Lieferung für seinen Palast bekommt. Da tauchen typische DDR-Artikel auf. Zum Beispiel die beliebten „Marie“-Kekse. Andererseits durfte es nicht vorkommen, dass ein Held der Serie im Sommer Apfelsinen kauft. Südfrüchte gab es im Sommer in der DDR nicht zu kaufen. In den neuen Heften nach 1990 gehört es dazu, dass ein Mosaik-Held immer mal wieder aussieht wie Thomas Gottschalk.
Was passierte denn nach der Wende?
1990 verursacht das natürlich einen Bruch bei Mosaik. Der ganze Verlag kommt zur Treuhand. Ein Unternehmer aus Westberlin kauft Mosaik und führt das Projekt weiter. So gibt es Mosaik bis heute monatlich und in neuen Formen. Zum Beispiel als Abrafax-Film.
Hat Mosaik auf dem westlichen Markt Fuß fassen können?
Das ist sehr schwer. Die Serie hat unheimlich mit der Konkurrenz zu kämpfen. Das hängt auch mit den unterschiedlichen Seh- und Lesegewohnheiten von Comics in Ost und West zusammen. Mosaik ist in Strich- und Linienführung sehr stark dem konservativen Stil der 50er- und 60er-Jahre verhaftet geblieben, zudem ist das Heft regelrecht textlastig. Das ganze Prinzip ist einfach anders. So kommt es auch, dass viele traditionelle Mosaikleser in den neuen Bundesländern heute begeistert von Mosaik schwärmen, aber gute, hoch qualifizierte Comics ablehnen.
Es gehört also eine gewisse Verschrobenheit zum Mosaik-Fantum.
Die Fans sind eine ganz besondere Spezies. Das sind Leute, die jetzt 40 oder 50 sind und die mit Mosaik groß geworden sind. Aber auch 12-Jährige lassen sich noch von der Begeisterung anstecken. Derzeit gibt es wohl sieben zentrale Fanclubs, mit einem harten Kern von etwa 2.000 bis 3.000 Fans. Die messen den Abstand der Heftklammern nach, lassen sich über verlaufende Druckerschwärze in Heft 37 aus usw. Das ist schon ein wenig verrückt. Das spektakulärste Beispiel ist wohl der Mann der noch zu DDR-Zeiten eine komplette Mosaik-Sammlung gegen einen Lada getauscht haben soll.
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