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„Die Union macht einen Fehler“

Der frühere Minister Christian Schwarz-Schilling (CDU) will heute für das rot-grüne Gesetz stimmen. Seine Partei verhalte sich „absolut dogmatisch“

„Eine strikte Nein-Position wird die Chancen der Union nicht verbessern“

Interview LUKAS WALLRAFF

taz: Herr Schwarz-Schilling, Sie stimmen heute im Bundestag gegen Ihre eigene Fraktion und für das rot-grüne Zuwanderungsgesetz. Warum?

Christian Schwarz-Schilling: Das Gesetz ist nicht perfekt. Aber es wäre viel schlimmer, wenn wir gar kein Gesetz bekommen. Eine Neuregelung der Zuwanderung ist dringend erforderlich.

Ihre Partei hält dieses Gesetz für falsch, weil es die Zuwanderung nicht genügend begrenze.

Ich finde, dass die Regelungen zur Begrenzung durchaus in dem Gesetz vorhanden sind. Es wird ja ausdrücklich festgestellt, dass Arbeitsmigration nur dann ermöglicht werden soll, wenn es für die entsprechenden Arbeitsplätze keine Deutschen oder hier lebende Ausländer gibt.

Wie erklären Sie sich dann die Ablehnung der Union?

Es gibt eine Grundstimmung der Angst. Bei über 4 Millionen Arbeitslosen ist es schwer zu erklären, warum wir Zuwanderung brauchen. Das geht nur, wenn Sie sich dezidiert mit den Einzelheiten beschäftigen. Dann erkennen Sie, dass die 1,5 Millionen offenen Stellen eben nicht von den 4 Millionen Arbeitslosen besetzt werden können. Dass es Hochqualifizierte gibt, die wir nur aus dem Ausland bekommen.

Die Union scheint trotzdem einen Ausländerwahlkampf führen zu wollen.

Das glaube ich nicht. Es gibt so viele Fehler der Bundesregierung. In der Wirtschaftspolitik, in der Europapolitik, in der Haushaltspolitik, der Steuerpolitik, der Sozialpolitik. Darauf sollten wir uns konzentrieren.

Europapolitik ist aber kein Angstthema wie Zuwanderung.

Das mag sein. Aber ich glaube nicht, dass die Union damit sehr viele Stimmen gewinnt. Das Wechselwählerpotenzial liegt in der Mitte. Wenn wir bei der Zuwanderung eine absolut dogmatische Nein-Position vertreten, wird das die Chancen der Union nicht verbessern. Dazu gibt es zu viele Leute aus der Wirtschaft, die wählen. Und aus dem humanitären Bereich. Denken Sie an die Caritas und die Kirchen.

Sind Sie enttäuscht von liberalen Parteifreunden wie Peter Müller, die noch vor einem Jahr viel aufgeschlossener waren?

Wir haben auf dem Kleinen Parteitag der CDU 2001 ein Zuwanderungspapier beschlossen. Viele Dinge, die da drin stehen, werden heute von der Union abgelehnt. Das halte ich für einen Fehler.

Dabei sind Ihnen mit Rita Süssmuth und Heiner Geißler bisher nur zwei altgediente Fraktionskollegen gefolgt. Verschwindet der liberale Flügel, wenn Sie aus dem Bundestag ausscheiden?

Wenn ich mit jungen Leuten in der Fraktion spreche, finde ich auch welche, die mit uns übereinstimmen. Sie können aber von denen keine Märtyrerrolle verlangen. Insofern will ich nun auch unsere eigene Entscheidung nicht so hoch hängen. Für uns ist das ja keine Mutprobe. Für einen jungen Menschen, der seine Karriere noch vor sich hat, schon. Dafür habe ich Verständnis. Das muss jeder selbst abwägen. Ich kann nur für mich sagen: Ich habe meine Konsequenzen gezogen.

„Von den jungen Abgeordneten können Sie keine Märtyrer-rolle verlangen“

Würden Sie sich auch so verhalten, wenn es wirklich auf Sie ankäme? Was würden Sie tun, wenn Sie an der Stelle von Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm wären?

Ich verstehe, dass seine Situation sehr schwierig ist. Bei vergleichbaren Entscheidungen habe ich mich immer so verhalten, dass ich mit mir selbst im Reinen war. Das würde ich ihm auch raten. Natürlich würde ich es begrüßen, wenn am Ende eine Mehrheit im Bundesrat zustande kommt.

Aus Sicht der CSU stellen Sie sich damit nicht nur gegen Ihre Partei, sondern gegen 70 Prozent der Bevölkerung, die angeblich ein Einwanderungsgesetz ablehnen.

Wenn man das als Argument benutzt, dann wären wir wahrscheinlich nie in die Nato eingetreten, dann hätten wir nie auf dem Balkan interveniert. Dann hätte es viele Entscheidungen, die die großen Kanzler Adenauer, Erhard, Kiesinger, Brandt getroffen haben, nicht gegeben, weil die Mehrheit damals dagegen war. Im Nachhinein hat man dann gesehen, dass die Entscheidungen doch richtig waren.

Glauben Sie, dass auch die Union dazulernen wird? Dass sie ein Zuwanderungsgesetz macht, wenn sie mal regiert?

Da will ich eine ganz andere Voraussage machen. Wir werden dann vor einer noch viel schwierigeren Situatuon stehen und werden uns vielleicht nach diesem Gesetzentwurf noch zurücksehnen. Ich bin der Überzeugung, dass die FDP auf noch liberalere Regelungen in vielen Bereichen drängt. Und die FDP wäre ja wohl der einzige Koalitionspartner, der in Frage käme.

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