Man muss ja sagen können

Festes, nicht zu starres Lächeln, energischer, nicht zu derber Händedruck: Eugen Ruges Theatermonolog „Restwärme“

Die Kurzbiografie des Autors Eugen Ruge weist auf einen wahren Lebensroman hin: 1945 im Ural geboren, in der DDR studiert, 1988 in die BRD übergesiedelt, 1995 nach Berlin zurückgekehrt. Der Bogen seiner dramatischen Texte spannt sich von „Schuld nach Dostojewski“ zu „Die Akte Böhme“, einer Arbeit über den Johann Mühlegg der ostdeutschen Sozialdemokratie.

Mitten drin in diesem Zyklus über die Schuld der Monolog „Restwärme“. Er wird jetzt im „Theater unterm Dach“ im Prenzlauer Berg gespielt und handelt von einem Mann, der sich mit aller Kraft anpassen will an die Normen der Gesellschaft. Es hat sich herumgesprochen im einstigen Arbeiterbezirk, dass man hier sieht, wie sich jemand auf Vorstellungsgespräche vorbereitet und wahrscheinlich scheitert – so jedenfalls die lebenserfahrene Annahme des Publikums vor Beginn der Aufführung.

Es handelt sich um Leute, die man sonst kaum im Theater sieht. Keine Künstler, Bohemiens und Studenten, eher Menschen, deren manchmal erlöschender Blick von hunderten Bewerbungsbriefen kündet, von denen kaum einer beantwortet wurde.

Der Mann auf der Bühne verkörpert nicht unbedingt all die Erfahrungen, die man gern weiten Teilen der Zuschauerschaft zuschreibt. Dazu ist der Schauspieler Werner Eng selbst viel zu intakt, robust und gut aussehend. Ein passender Typ für die Rolle wäre etwa Michael Gwisdek gewesen. Aber es hat seinen Reiz, dass Eng, der bereits mit Sebastian Hartmann, René Pollesch und Falk Richter im Off-Bereich arbeitete, hier spielt. So wirkt das Bemühen, sich eine positive Ausstrahlung anzutrainieren, gleichzeitig erfolgversprechender und absurder. Eng murmelt wie ein Mantra: „Ja, ja, ich muss ja sagen können.“ Er übt übt ein festes, aber nicht starres Lächeln, einen energischen, aber nicht zu derben Händedruck ein. Er feilt an Begrüßungsformeln: „Guten Tag“ oder doch „Grüß Gott“? Er operiert mit Mundspray, bis seine Mundhöhle auf Jahre kontaminiert ist.

Zu einer schönen Nummer gerät, wie er sich am Gesäß die schwitzenden Hände abwischt und sie wie ein die Waffe ziehender Cowboy zum Begrüßungskontakt nach vorn wirft. Eng spielt wirklich großartig. Wie ein Berserker turnt er an dem stählernen Gestänge herum, das die Bühne gliedert. Er posiert und schreit, lässt seinen Körper von katatonischem Zucken heimsuchen. Aber er liefert keine tiefenpsychologische Studie eines Verlierers ab. Vielmehr entsteht auf der Bühne die titanische Anstrengung eines ganz normalen Menschen, der nur weiter normal sein möchte, eines Menschen, der kein Aids hat, kein Kommunist war und trotzdem aus dem sozialen Raum verwiesen wird.

Hier geht die Inszenierung von Johannes Greiner über genuin ostdeutsche Befindlichkeiten hinaus. Weil sie von etwas handelt, was sich auch im alten Westen findet. Auch in Hamburg, Hannover oder München ballen sich Reste der „alten Mitte“, für die keine Arbeit mehr da ist, die für den Konsum nicht notwendig sind und die gar nicht erst auf die Idee kommen, die Freizügigkeit des Euro in Spanien oder Italien zu testen. Ihnen bleibt lediglich die Restwärme ihrer Körpertemperatur. TOM MUSTROPH

„Restwärme“. Theater unterm Dach, Danziger Straße 101, 1.–3. 3., 28.–30. 3.,20 Uhr