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In der Endlosschleife der Worte

Gefühlsblindheit in Blattgold: Paul Austers Stück „Hide & Seek“ lief zur Musik Michael Mantlers im Hebbel-Theater

Die Vergangenheit suchen. Den Moment, an dem die Liebe verloren ging, ganz unbemerkt. Nach der Vergangenheit tasten, schreien, stampfen. Die Gleichgültigkeit aufbrechen für eine Nacht, einen Moment. Eine Paarszene am Ende des gefühlten Lebens.

Im Raum hängt die nackte Glühbirne, einsam, verloren. Das Stück beginnt unbemerkt. Mit der leeren Bühne, die zum Bild wird. Zwei Stühle, eine Tür. Wie der Boden, die Wände und die Decke sind sie überzogen mit dem gleichen Farbmuster aus hellem milchigen Grün und Mustern aus Blattgold. Dann zwei Menschen. (Großartig als Paar im Verlust der Poesie: Charlotte Munksgaard und Pauli Ryberg.) Gekleidet im Farbmuster des Raumes. Als würde man sich selbst in die Raufasertapete der Mietwohnung einwickeln, den Staub der abgerissenen Fasern in den Augen und Atemwegen. Sie sitzen starr im Ausdruck, unbeweglich. Wie die Wachsfiguren von Duane Hanson. Gefühlsblind geworden für einander und für sich selbst. Mutierende Ebenen aus Bewegungen und Wörtern werden zu flüchtigen Erinnerungsbildern. Die Vergangenheit dargestellt als sorglos neugieriger Tanz, die Gegenwart als uniformer Gesang in immer gleicher Tonhöhe. Eine Endlosschleife der Worte, die Paul Auster 1976 als kurzes Theaterstück geschrieben hat.

Erst 1997 hat er es in der Textsammlung „Hand to Mouth“ veröffentlicht. Die an Beckett erinnernde Absurdität der sinnentleerten, wurzellosen Sätze, die das Paar Austers in die gegenseitige Langeweile hineinspricht, haben den Jazzkomponisten und Trompeter Michael Mantler zu seinem gleichnamigen Album „Hide & Seek“ inspiriert. Mantler hatte schon früher mit Texten von Beckett experimentiert. Im Gespräch bezeichnet er die menschliche Stimme als weiteres Instrument, als Klangfarbe. Dafür sucht er abstrakte Texte ohne Handlung. Erst später fragte er den dänischen Regisseur Rolf Heim und den Choreografen Tim Feldmann, ob sich daraus nicht ein Theaterstück machen ließe. Für Mantler hatte Heim bereits die Oper „School of Understanding“ inszeniert, 1997 im Hebbel-Theater aufgeführt. Bei Heims Inszenierung hält sich Mantler zurück. Obwohl er extra aus Kopenhagen nach Berlin gekommen ist, läuft die Musik vom Band. Nur die Stimmen der Sänger Susi Hyldgaard, die auf dem Album auch Akkordeon spielt, und Per Jörgensen sind live. Die beiden gehören zu den zurzeit besten dänischen Jazzsängern und arbeiten ebenfalls seit „School of Understanding“ mit Mantler zusammen.

Für „Hide & Seek“ hat Heim die Vorlage Austers stark abstrahiert. Die ursprüngliche minimalistische Darstellung zweier Menschen in geschlossenen Kästen, die Reduzierung auf die Worte selbst, wird aufgehoben. Samuel Beckett wird zu Tennessee Williams in der Art, wie das Paar sich mit Häme, Wut und Gleichgültigkeit verletzt. Wie Körper sich mit Gewalt entkleiden, das Geheimnis der Intimität rau ins grelle Licht gezerrt wird. All das wirkt wie eine grausame Karikatur des Alltäglichen. Und das Lachen gefriert in der Kehle wie auf den Gesichtern der Schauspieler. An einem Ende, das nicht wirklich eines ist.

Nach der Uraufführung in Kopenhagen, bei der Paul Auster Rolf Heim gratulierte, wurde „Hide & Seek“ nur in Berlin gezeigt. Jetzt fährt das Ensemble wieder zurück nach Dänemark. Wann das Stück wieder gezeigt wird, ist ungewiss. „Mal sehen“, sagt Mantler, „ob uns jemand haben will.“ MAXI SICKERT

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