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Mein Sex

Begnadeter Tänzer, einzig vollgültiger Michael -Jackson-Epigone, hinreißender Oberkörperdarsteller: Trotz eines katastrophalen Sounds versetzte der R&B-Superstar Usher sein Publikum in der Arena in hellstes Entzücken

Es gibt Konzerte, da fragt man sich: Wer hat eigentlich diesen Irren ans Mischpult gelassen? Aber wahrscheinlich folgt diese Besetzung einem ganz einfachen Kalkül: Wer 31 Euro für eine Eintrittskarte bezahlt, kann es sich nicht mehr leisten, den Sound Scheiße zu finden, also nehmen wir den, der gerade da ist. Das Usher-Konzert in der Arena hörte sich auf jeden Fall vom ersten bis zum letzten Augenblick an, als würde man vor der Halle stehen und die Klänge müssten erst durch einen Tunnel, bevor sie ans eigene Ohr gelangen: Nur in laut. Vermatscht und vermurkst.

Aber richtig zu stören schien es niemanden, schließlich war man ja auch wegen Usher hier und nicht wegen des Sounds. Und wegen Usher da sein, das hieß, wegen Ushers Körper da zu sein. Natürlich kann er auch toll singen, klar, aber Usher ist vor allem eins: begnadeter Tänzer, der einzige vollgültige Michael-Jackson-Epigone wahrscheinlich, und hinreißender Oberkörper-Darsteller. Nun ist es natürlich nicht nur sein Oberkörper: Usher strahlt einen kleiner-Junge-Charme aus, der an sich schon unwiderstehlich ist, aber in Kombination mit seinem Waschbrettbauch vermochte er das Publikum quer zu dessen sexueller Orientierung in Entzücken zu versetzen.

Das führte zu Situationen wie dem Höhepunkt des Konzerts, als Usher sich aus seinem Bett erhob, zu einem Kleiderständer ging und sein Seidenoberhemd auszog, um sich mit einem Handtuch die Schweißperlen von Schultern und Bauch zu wischen. Während die Mädchen kreischten und sich von ihren Freunden auf die Schultern nehmen ließen, um Usher mit ihren Pocketkameras in ein Blitzlichtfeuerwerk zu tauchen, riefen ein paar türkische B-Boys in einer seltenen Allianz mit den verstreuten Schwulen „Ausziehen! Ausziehen!“; Rufe, die von wütenden „Ey, geh ma runter, du Zicke!“-Schreien übertönt wurden, die all jene anstimmten, die in der vierten Reihe standen und nichts sehen konnten. Was mag Usher sich wohl gedacht haben, was all das zu bedeuten hat?

Wie jedes anständig durchchoreografierte Konzert hatte auch der Auftritt von Usher fünf Akte. Fünf Szenarios, die darauf ausgerichtet waren, Ushers Können in das richtige Licht zu rücken: Es begann mit einem Michael-Jackson-Teil, Usher als Cyborg im blauen Licht, wie er seine Version der berühmten Jackson’schen-Mensch-Maschinen-Tanzschritte performte, begleitet von schwer jacksonesken Hard-Rock-Gitarrenriffs und ebenfalls jacksonmäßiger Hutakrobatik. Dann kam Usher als der Schlafzimmer-Mann in seidenweißer Bestrahlung, wie er sich auf einem riesigen Bett in Seidenbettwäsche rekelte. Der dritte Teil präsentierte ihn als B-Boy, der demonstrierte, dass er auch breaken kann, wenn er will.

Im Disco-Teil zeigte er im rötlich-violetten Licht, dass er auch eine Party zu feiern in der Lage ist, um schließlich am Schluss zu Michael Jackson und der blauen Beleuchtung zurückzukommen und in einer roten Lederjacke noch einmal den Cyborg zu geben. All das unterfüttert durch Beckenbewegungen (Kreisch! Gilf!), einarmige Handstände (Wow!), und Sprünge wie den Salto rückwärts aus dem Stand (Boah!). Toll! Wobei sich Usher Michael Jackson tatsächlich so sehr anverwandeln konnte, dass auch bei ihm der Griff in den Schritt vor allem nach einem Dance-Move aussah – was bei Ushers sonstigem Sexappeal durchaus bemerkenswert ist. Aber Usher ist vielleicht auch der einzige Performer, der mehrere Augenblicke lang mit heruntergelassener Hose auf der Bühne stehen kann, und es sieht nicht peinlich aus, eigentlich auch nicht wirklich sexy, sondern schlicht und einfach gekonnt.

Tatsächlich gelang es Usher sogar die alte Nummer des Ich-hole-mir-jemand-aus-dem-Publikum mit neuem Charme aufzuladen. Das ausgewählte Mädchen bekam erst ein kleines Geschenk – ein Päckchen mit einem Usher-T-Shirt, einer CD und einer Unterhose drin –, dann tanzte Usher für sie, zog sich wieder einmal sein Oberteil aus und legte sich schließlich schweißgebadet neben und über sie ins Bett, um sie zu küssen, ihr etwas ins Ohr zu flüstern und sie hinter die Bühne führen. Was wird er ihr gesagt haben? Keine Angst, ich mach nur Spaß? Wird er ihr seinen richtigen Vornamen verraten haben? Oder hat er ihr gesagt, dass sie das T-Shirt wirklich behalten darf? Man weiß es nicht. Das Mädchen litt auf jeden Fall unter entzückenden Atembeschwerden. TOBIAS RAPP

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