: Hallenbäder saufen ab
Der Aufsichtrat stimmt der Streichliste zu, und Senator Böger mag weiteres Bädersterben nicht ausschließen. Die Grünen protestieren, legen ihr Alternativkonzept aber reichlich spät vor
von STEFAN ALBERTI und ANNE VILLWOCK
Fast jedes vierte der 42 Berliner Hallenbäder macht bis Juli dauerhaft dicht. Das hat gestern der Aufsichtsrat der Bäderbetriebe beschlossen. Hintergrund sind geringere Senatszuschüsse. Außer zehn Hallen steht auch das Sommerbad Poststadion in Moabit auf der Streichliste (siehe Kasten unten). Dort haben Anwohner nach eigenen Angaben kurzfristig 750 Unterschriften gegen die Schließung gesammelt. Sportsenator und Aufsichtsratschef Klaus Böger (SPD) mochte nicht ausschließen, dass in den nächsten Jahren weitere Bäder wegfallen. Aus dem Aufsichtsgremium war zu hören, das davon auszugehen ist. Die Grünenfraktion im Abgeordnetenhaus sprach von Kahlschlagpolitik und legte Sanierungsvorschläge vor.
Die Entscheidung über die Streichliste hatte bereits im Februar angestanden. Der Aufsichtsrat verschob aber sein Votum, weil ihm die Informationen über die Bäder nicht ausreichten. Neue Daten sorgten dafür, dass seit Februar fast jeder dritte Name auf der Liste neu ist. Erst im Mai will der Aufsichtsrat über höhere Eintrittspreise entscheiden.
Kriterien für die Streichliste waren laut Böger unter anderem bisherige und zukünftig notwendige Investitionen. Die schlechtesten Karten hatten die Schwimmhallen, in die die Bäderbetriebe am meisten stecken müssten. Auf der sicheren Seite waren jene Bäder, die seit 1996 mit mindestens 200.000 Euro aufgepäppelt wurden. Laut Böger war mitentscheidend, dass Vereine und Schulen versorgt bleiben. Eine Messzahl oder Entfernungsgrenze nannte er nicht. Die von der Schließung betroffenen 100 Mitarbeiter sollen in den Freibädern weiterarbeiten.
Von den zehn Hallenbädern kann das Bad im Sportforum Hohenschönhausen noch hoffen, dort ist das Bundesinnenministerium Kofinanzier. Falls der Bund mehr als bisher zu zahlen bereit ist, bleibt die Schwimmhalle offen – ob er es tut, soll sich bis Mitte Mai klären. Den anderen Bädern ließ Böger nur eine vage Hintertür offen: Falls ein privater Betreiber einspringt und keine öffentlichen Gelder verlangt, soll die Schließung hinfällig sein. Ausdrücklich nannte er dabei das Sommerbad Poststadion in Moabit.
Dort hat Anwohner Frank Dietsche mit einer lokalen Initiative Unterschriften für den Erhalt des Bads gesammelt. Er hält die Schließung in dem problembeladenen Kiez für unverantwortlich: „Es gibt Familien, die dort ihre ganzen Sommerferien verbringen.“ Fällt das Bad weg, blute die Gegend weiter aus. Bögers Hinweis, man könne auch an einen der Brandenburger Seen fahren, nannte er zynisch.
Die Grünen im Abgeordnetenhaus hatten erst am Vortag ein Alternativkonzept veröffentlicht – früher hätten keine genauen Zahlen vorgelegen, war von der Fraktion zu hören. Es sieht unter anderem vor, nur die drei marodesten und Verlust bringendsten Bäder zu schließen und ihre Grundstücke zu verkaufen. Der Erlös soll Grundstock einer Stiftung für Investitionen in anderen Bädern sein. Zudem schlägt Grünenhaushaltsexperte Oliver Schruoffeneger vor, die Energie- und Wasseraufbereitung zu sanieren. Mit besseren Anlagen – weitgehend auf Kosten des Bundes – sollen sich jährlich fünf Millionen Euro sparen lassen.
Bei den Sommerbädern – die Freibäder mit gemauertem Becken – liegen die Grünen auf einer Linie mit den Bäderbetrieben und Sportsenator Böger: Hier sollen nach Möglichkeit private Betreiber einspringen. Bei den 13 Strandbädern soll die Degradierung Geld sparen helfen: Wenn sie nicht länger Bäder, sondern nur Badestellen sind, ist kein Personal mehr nötig. Für die Sicherheit sollen die Ehrenamtlichen von der DLRG sorgen.
Sechs Millionen Mark wollen die Grünen darüber hinaus dadurch sparen, überzählige Schwimmbadmitarbeiter auf Kurzarbeit zu setzen. Grünenexperte Schruoffeneger geht davon aus, dass die Bäderbetriebe bei diesem Konzept nach einigen Jahren Übergangszeit mit geringeren Senatszuschüssen als derzeit auskommen können. Nach Vorstellungen von Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) aber sinken die Zuschüsse bereits ab diesem Jahr durchgehend bis 2006.
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