Falsche Schuldige

■ Fall Berzeliusstraße: ver.di prangert Sozialabbau und deren Folgen an

MitarbeiterInnen der Sozialen Dienste in der Sozialbehörde setzen sich zur Wehr: Sie wollen nicht als letztes Glied in der Kette für die fatalen Folgen des Sozialabbaus herhalten und nun auch noch strafrechtlich zu Sündenböcken gemacht werden. Anlass ist das heutige Ende des Prozesses gegen Sozialarbeiterin Mendula K. Ihr wird vorgeworfen, durch Fehleinschätzungen und Tatenlosigkeit eine Mitschuld am tragischen Tod des 68-jährigen Otto Aschberg im Männerwohnheim Berzeliusstraße zu tragen, der 1999 an einer unbehandelten Lungenentzündung und Unternährung starb.

„Was der Kollegin widerfahren ist, kann uns allen passieren“, berichten KollegInnen. „Wir sind keine Mediziner, wir können nicht immer erkennen, was für eine Erkrankung vorliegt.“ Eine Kollegin ergänzt: „Massenunterbringung in sozialen Ghettos sind krank machende Bedingungen, dennoch gibt es für Obdachlosenunterkünfte keine zuständigen Ärzte.“

Die Crux liegt für die Gewerkschaft ver.di im System. „Durch den Sozialabbau werden immer mehr Menschen ausgegrenzt und finden sich in sozialen Ghettos am Stadtrand wieder.“ Gleichzeitig sei massiv Personal abgebaut worden. Die Sozialarbeiter seien oft überfordert. So sei ein Mitarbeiter für 175 Schützlinge zuständig.

Aber auch ein verwahrloster Obdachloser oder Trinker habe ein Recht auf Selbstbestimmung. „Selbst wenn ich den Notarzt rufe, ist nicht sicher, dass er mitgenommen wird oder am nächsten Tag nicht wieder da ist“, sagt eine Sozialarbeiterin. „Wenn der sagt, ich will nicht mit, dann geht das nicht“, ergänzt Mendula Ks. Anwältin Daniela Leyhausen. „Der Richter muss überzeugt werden, dass ein Notfall vorliegt.“

Oft könne der Klient auch schwer eingeschätzt werden. „Der Zustand sieht bei einem Besuch nicht bedrohlich aus, dass kann eine Stunden später anders sein.“ Zeit für intensive Betreuung gebe es aber nicht. Und Äußerlichkeiten allein reichten für Zwangsmittel nicht aus, der Psychiatrische Dienst reagiere erst bei „akuter Fremd- oder Selbstgefährdung“. „Wenn jemand in einer vollgeschissenen Hose in mein Büro kommt, sonst aber klar antwortet, dann muss ich das erdulden, kann nur das Fenster zum Lüften öffnen.“ Die Schuld liege bei der Sparpolitik: „Eine nicht zu verantwortende Entscheidung der Behördenleitung – und wir sitzen zum Schluss auf der Anklagebank.“ Magda Schneider