piwik no script img

Birthler fordert Gesetzesnovelle

Die Bundesbeauftragte fürchtet einen Rückschlag bei der DDR-Aufarbeitung. Ihr Kontrahent Schily sieht sich durch das Berliner Urteil bestätigt. Im April berät der Bundestag über Änderungen am Stasi-Gesetz

BERLIN dpa ■ Die Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Marianne Birthler, hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zu Gunsten von Alt-Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) bedauert. Sie führe zu einem empfindlichen Rückschlag für die Aufarbeitung der DDR-Geschichte, sagte sie gestern nach der Urteilsverkündung. Unterlagen von Amtsträgern und Personen der Zeitgeschichte könnten nur noch mit ausdrücklicher Einwilligung herausgegeben werden. Die Folge sei, dass viele Unterlagen wertlos würden.

„Ich habe Mühe, die Entscheidung zu verstehen“, sagte Birthler. Die Praxis der Stasi-Unterlagen-Behörde sei in zehn Jahren weder vom Datenschutzbeauftragten noch von dem überwiegend zuständigen Kabinett Kohl beanstandet worden. „Es fällt mir schwer zu sagen, das kann nicht der Wille des Gesetzgebers gewesen sein.“ Es sei nun Aufgabe des Bundestages, zu klären, wie künftig die Unterlagen von Betroffenen und Dritten behandelt werden sollen. Sie sei froh, dass es bereits einen Termin für eine Anhörung zu diesem Thema gebe. Sie selber werde keine eigenen Novellierungsvorschläge machen, aber Vorschläge von Dritten kommentieren.

Ihre Behörde werde ab Montag keine Unterlagen von Personen der Zeitgeschichte und Amtsträgern mehr herausgeben. „Wir werden prüfen, welche Unterlagen noch nutzbar sind und unter welchen Umständen sie freigegeben werden können.“ Sie müssten Blatt für Blatt geprüft werden, gegebenenfalls müsse man Namen anonymisieren oder schwärzen. Es gebe etwa 2.000 Anträge aus Medien und Wissenschaft. Nicht betroffen seien Sachakten sowie Unterlagen von Begünstigten und Stasi-Mitarbeitern sowie solche, bei denen Einwilligungserklärungen vorliegen.

Birthlers Kontrahent im Aktenstreit, Innenminister Otto Schily (SPD), sieht seine Rechtsauffassung „zu 100 Prozent bestätigt“. Das Bundesverwaltungsgericht habe in seinem Urteil zu Recht besonders den Opferschutz herausgestellt. Nach Auffassung von Schily sollte man aber über mögliche Klarstellungen im Gesetz nachdenken. Er sei sich mit Birthler darin einig, dass der Opferschutz nicht Personen zugute kommen könne, die Teil des DDR-Unterdrückungsapparates gewesen seien. Unter diesem Gesichtspunkt sei eine Überprüfung des Gesetzes sinnvoll. Der Bundestag will sich am 25. April in einer öffentlichen Anhörung damit befassen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen