: Er hat den Bogen raus
■ Klein und fein: André Alegre hobelt, schleift, hämmert jedes seiner „Babys“ einzeln. Zehn bis zwölf Tage dauert es, bis ein Geigenbogen aus Holz und Pferdehaar fertig ist
Es riecht ganz fein nach Holz. Ein schmaler Werkstatttisch, eine Drehbank, ein Stuhl, ein Hocker, ein Schubladenschränkchen, die Ausstattung ist überschaubar in dem knapp 15 Quadratmeter großen Raum. Aber André Alegre braucht auch nicht viel Platz, um Geigenbögen zu bauen. Er mag das Kleine, Feine.
Der 35-jährige Franzose stammt aus einem wirklich kleinen Dorf namens Saint Beauziné in der Nähe von Tolouse. Im Nachbarort gab es einen Geigenbauer, weiß er heute, aber damals hat ihn das nicht interessiert. Er wurde Tischler, weil er das Holz liebte. Acht Jahre lang baute er Möbel, Küchen und alles, was Tischler eben so bauen. Doch dann kam die Sache mit seinem Fuß. Er konnte nicht mehr lange stehen, nicht schwer tragen, nicht weit laufen. Eine Alternative muss-te her, irgendetwas mit Holz sollte es aber schon sein. In einem noch kleineren französischen Dorf in den Alpen lernte er das Geigenbogenbauen.
Geigenbauer und Geigenbogenbauer seien zwei ganz unterschiedliche Berufe, erklärt er. Für das Geigenbauen ist ein sehr gutes Gehör wichtig – so viel musikalisches Können traute André Alegre sich dann doch nicht zu, obwohl er zwei Jahre zuvor mit dem Geigespielen begonnen hat. Das reicht heute immerhin, um die Geigenbögen zu testen, die er baut.
Ein Jahr lang schaute er seiner Lehrerin ganz genau auf die Finger und übte sich im Bogenbauen, dann war seine Ausbildung beendet. Er machte sich selbstständig, ging zurück in sein Heimatdorf und arbeitete dort sechs Jahre, bis – ja, bis ihn die Liebe traf und er nach Deutschland ging.
In der Ecke seiner Werkstatt steht ein zusammengefalteter Notenständer. Die Musiker bringen meist ihr Instrument mit, wenn sie einen neuen Bogen kaufen. Bögen sind viel kurzlebiger als Instrumente. Dann wird getestet. Zwei bis drei Bögen probieren sie meistens aus, bis sie einen gefunden haben, der zu ihnen passt. Alegre beobachtet sie dabei mit Argusaugen. Jedes Stück ist ein Unikat, und eigentlich trennt er sich nicht so gerne von seinen Babys. Doch irgendwann muss er es ja doch.
Leben könnte er ganz gut davon, wenn er erst mal einen festen Kundenstamm hat. Ein Geigenbogen kostet um die 1.400 Euro, ein Bogen für einen Kontrabass 1.700 Euro, mit Gold oder Silberauflage wird es etwas teurer. Aber noch hat Alegre nicht viele Kunden. Laufkundschaft würde den winzig kleinen Laden kaum entdecken, den er im Januar 2002 eröffnet hat.
Er dagegen hat bei der Arbeit von seinem erhöhten Fenster einen guten Blick auf den Dobben. Allerdings genießt er die Aussicht nicht lange, zu sehr muss er sich auf sein Handwerk konzentrieren.
Zuerst schnitzt er aus einem langen, rechteckigen Stück Holz einen Stab mit acht Seiten, noch nicht in seine endgültige Stärke, das wäre zu früh. Er entzündet eine kleine Lampe gefüllt mit Brennspiritus. Vorsichtig hält er einen Teil des Stabes darüber, nimmt es von der Flamme weg und biegt es, noch viel vorsichtiger. Es darf nicht zu kalt und nicht zu heiß sein, sonst bricht es. Wieder mit dem Holz über die Flamme, wieder leicht in Form biegen, das dauert. Zehn bis zwölf Tage arbeitet Alegre täglich an einem Bogen, schnitzt Elfenbein, lötet Silber, feilt sanft mit einem Hobel, der nicht größer ist als eine Erdnuss, an den Feinheiten. Immer wieder überprüft er auf der Waage, dass das Gewicht stimmt. Ein Geigenbogen muss exakt 60 Gramm wiegen, kein Gramm weniger, kein Gramm mehr. Einmal zu viel gehobelt und die ganze Arbeit war umsonst. Stabil, leicht und hart müssen die Bögen sein. Pferdehaar bringt schließlich die Seiten zum klingen.
Jeder Geigenbogenbauer hat seinen eigenen Stil, er ist am Schwung des Frosches, in den unten am Griff die Pferdehaare hineingesteckt werden, oder am Kopf zu erkennen. Alegre verwendet viel Silber und Perlmutt. Ganz am Schluss hält er ein kleines Eisen über die Flamme und brennt dem Holz seine Initialien ein: A.A.A. – André Alegre Archetier, was so viel heißt wie André Alegre Geigenbogenbauer, halt auf Französisch.
Mirja Ibsen
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen