„Der Welt zeigen, dass Israel nicht gleich Scharon ist“

Die unversöhnliche Politik der Regierung Scharon gegenüber den Palästinensern führt zu einem Wiederaufleben der israelischen Friedensbewegung

JERUSALEM taz ■ „Alternatives Informationszentrum“ steht auf dem Schild der Tür eines Wohnhauses in der Westjerusalemer Innenstadt. Mitarbeiter des Zentrums schieben an diesem Abend Anfang März die Schreibtische an die Wand, um Platz zu schaffen für das erste Koordinationstreffen israelischer Friedensgruppen. Ziel ist, die derzeit nicht gerade üppigen personellen Ressourcen zu konzentrieren. Gegen 20 Uhr füllt sich der Raum: Studenten, ein Junge mit Rastahaaren, ein paar Männer mittleren Alters in Jeans. Sie sind Aktivisten von „Frieden jetzt“, dem „Israelischen Komitee gegen Häuserzerstörung“, von „Checkpoint-Beobachter“ und „Rabbiner für Menschenrechte“.

Auf der Tagesordnung stehen gemeinsame Aktionen gegen die Häuserzerstörung. Jeff Halper, Chef des „Komitees“, definiert die Arbeit der Gruppe, die sich vor fünf Jahren zusammengefunden hat, als „aktiven Widerstand“. Seit Beginn der Besatzung seien 8.000 Häuser abgerissen worden, allein im vergangenen Jahr waren es 700. In den offiziellen Begründungen heißt es fast immer, dass die Häuser ohne Baugenehmigung errichtet worden seien. Tatsächlich ist es für die Palästinenser vor allem in Ostjerusalem illusorisch, den Bau neuer Häuser genehmigt zu bekommen, da das gesamte bislang unbebaute Land zur Grünfläche deklariert wurde. Die arabische Bevölkerung, die fast ein Drittel aller in Jerusalem lebender Menschen ausmacht, muss sich heute mit nur sechs Prozent des Landes zufriedengeben. „Auf dem Papier gibt es in Ostjerusalem mehr Grünflächen als in jeder anderen Stadt auf der Welt“, meint Halper.

Gleich fünf Häuser auf einmal fielen am letzten Dienstag den Bulldozern zum Opfer. Für die Friedensaktivisten kam die Nachricht zu spät. Als sie das arabische Viertel Issawiya erreichten, hatten die Soldaten bereits sämtliche Zufahrtsstraßen blockiert. „Eine Häuserzerstörung zu verhindern ist für uns praktisch unmöglich“, erklärt Noam Hofstetter von der Gruppe „Frieden jetzt“. Stattdessen werden die Aktivisten beim Wiederaufbau der Häuser helfen und dafür sorgen, dass die Öffentlichkeit von der Geschichte erfährt.

Im Gegensatz zum „Komitee“ gilt „Frieden jetzt“, die größte israelische Friedensgruppe, als Protestbewegung, die als Organisation keinen aktiven Widerstand leistet. Sie organisiert zwei- bis dreimal pro Woche Demonstrationen: mal vor dem Verteidigungsministerium in Tel Aviv, mal im Jerusalemer Regierungsviertel. Der seit Jahren größte Demonstrationszug startete vor zwei Wochen vor dem Tel Aviver Rathaus. Knapp 20.000 Leute protestierten gegen das aggressive Vorgehen von Premierminister Ariel Scharon gegenüber den Palästinensern. Das mag ein Anfang sein – von den 400.000 Israelis, die sich einst am gleichen Ort versammelten und zum Ende des damaligen Libanonkrieges aufriefen, ist die Bewegung weit entfernt.

Den ersten großen Einbruch erlebte die Friedensbewegung 1991 mit dem zweiten Golfkrieg, als irakische Raketen auf Tel Aviv und andere israelische Städte abgegeben wurden. PLO-Chef Jassir Arafat bekundete damals offen seine Sympathie für den irakischen Präsidenten Saddam Hussein. Schlimmer noch traf es Israels Linke, als auch das palästinensische Volk plötzlich wieder Hoffnung zu schöpfen schien, dass ein Krieg gegen Israel doch gewinnbar sein könnte. Die Palästinenser feierten damals die irakischen Scud-Raketen mit Partys auf ihren Dächern.

„Der Golfkrieg ist Geschichte“, meint Didi Remes, Sprecher von „Frieden jetzt“. Die ideologische Krise der Linken sei vielmehr darin begründet, dass man sich „in Oslo darauf geeinigt hatte, von hier aus alles per Verhandlungen zu lösen. Die Rückkehr zur Gewalt hat uns den Teppich unter den Füßen weggezogen.“ Knackpunkt waren vor allem die im Sommer vor zwei Jahren gescheiterten Verhandlungen in Camp David, als der damalige Premierminister Ehud Barak den Palästinensern 94 Prozent ihres Landes versprach, dafür allerdings die Sicherheitskontrolle auf dem Tempelberg behalten wollte und zudem Jassir Arafat den Verzicht auf das Rückkehrrecht für die palästinensischen Flüchtlinge abverlangte. Der Palästinenserpräsident lehnte – zur Freude seines Volkes – ab. Drei Monate später begann die Intifada.

Wenn Israels Linke auch auf den Tempelberg verzichten könnte – ein Rückkehrrecht für die palästinensischen Flüchtlinge kann es nicht geben, ohne die Existenz des Judenstaates zu gefährden. In diesem Punkt besteht Konsens in Israel. Die Linke scheint bis heute darüber enttäuscht zu sein, dass die Palästinenser überhaupt etwas anderes auch nur in Erwägung zogen.

Die stetig eskalierende Gewalt hat die Linke aufgerüttelt. „Frieden jetzt“ verzeichnet in jüngster Zeit einen „dramatischen Mitgliederzuwachs“. Unmittelbar nach dem Ausbruch der Intifada und vor allem nach der Wende, als sich die Arbeitspartei von Schimon Peres der Regierung Scharon anschloss, habe „keine innerisraelische Debatte“ stattgefunden, sagt Didi Remes. Selbst die Medien hätten sich jeder kritischen Auseinandersetzung verschlossen. Seit Mitte Dezember ändere sich das. Der offene Brief der Reserveoffiziere, die den Dienst in den palästinensischen Gebieten verweigern und „nicht länger den Krieg der Siedlungen ausfechten“ wollen, hat gezeigt, so Remes, dass es in Israel eine Opposition gebe, „die die Regierung nicht mehr ignorieren kann und die der Welt und vor allem den Palästinensern zeigt, dass Israel nicht gleich Scharon ist“. SUSANNE KNAUL