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Anagramme en masse

Man sieht sich immer zweimal, auch in der Kolportageliteratur: Stephen Fry versucht sich an einer Aktualisierung von Alexandre Dumas – „Der Sterne Tennisbälle“

Der junge Ned Maddstone sieht gut aus, ist ein Kricket-Ass, grundsympathisch, intelligent und stammt aus ehrenwertem Haus. Ein Prachtkerl für die meisten. Ein snobistischer Drecksack für ein paar neidische Mitschüler am Oxforder St.-Marks-College. Die drei schmuggeln ihm Haschisch in die Jacke und alarmieren die Drogenfahndung. Die findet einen Zettel mit einer geheimen IRA-Losung, den ihm sein sterbender Käpt’n auf einem Segeltörn während der letzten Ferien zugesteckt hat und den Ned an eine bestimmte Person überbringen soll.

Der CI 5 wird eingeschaltet, Ned verhört, und wie es das von Stephen Fry gehörig auf Kolportage getrimmte Schicksal will, ist der Zettel ausgerechnet an die Mutter des ermittelnden Agenten gerichtet, die all die Jahre eine inaktive IRA-Terroristin gewesen ist. Um seine Mutter zu schützen, vor allem aber um seine eigene Karriere nicht zu gefährden, lässt der Agent den Abiturienten in die geschlossene psychiatrische Anstalt einliefern, wo er mit Psychopharmaka ruhig gestellt wird. Und wer bis hierhin noch nichts gemerkt hat – der Roman ist spannend genug, so dass man es nicht unbedingt merken muss! –, bekommt jetzt einen Wink mit dem Zaunpfahl, ach, eigentlich mit dem ganzen Gatter: Ned trifft auf den genialen Universalgelehrten „Babe“ Fraser, wird vom ihm unterrichtet, lernt unter anderem acht Sprachen und flüchtet schließlich nach beinahe zwanzig Jahren, als der alte Babe stirbt, in dessen Sarg von der Insel.

Na? Richtig! Fry versucht sich hier an einer Aktualisierung von Alexandre Dumas’ „Der Graf von Monte Christo“. Die Handlung wird vom Frankreich Ludwigs XVIII. ins England der Achtziger- und Neunzigerjahre verlegt. Die Drogen sind härter geworden, die Geschäfte globaler und virtueller, aber die Perfidie der Menschen ist dieselbe geblieben. Ebenso die Durchschlagskraft und Skrupellosigkeit der Geheimdienste. Damals konnte man unliebsame Personen wegsperren, indem man sie als Bonapartisten denunzierte, zwei Jahrhunderte später nennt man sie eben IRA-Sympathisanten.

Wie im Original von 1844 hinterlässt Babe seinem Schüler und Freund Ned einen Schatz, der sich nun freilich auf einem Schweizer Nummernkonto befindet und ihm ermöglicht, ein Internet-Imperium Bill-Gates’- schen Ausmaßes aufzubauen und mit der Kälte desjenigen, der das Leid eines ganzen Menschenlebens schon hinter sich hat, seine grausame Rache vorzubereiten. Man sieht sich eben immer zweimal. Nicht nur im Leben, auch in der Kolportageliteratur. Aber was Dumas romantisch überhöhte, zieht Fry ins schrecklich Profane: Er zeichnet den gerechten Rächer als zerstörten, ja pathologischen, in seiner Erbarmungslosigkeit absolut erbarmungswürdigen Menschen, der nach seinem Feldzug auf die Gefängnisinsel zurückkehrt, weil sie ihm Heimat geworden ist, die einzige, die er noch hat.

Wer Spaß an literarischen Detektivspielen und intertextuellem Rätselraten hat, sich vielleicht sogar die Mühe macht, das Original gegenzulesen, der kommt hier allemal auf seine Kosten, stößt mithin auf eine ganze Reihe von mehr oder weniger witzigen Anspielungen, Zitaten und Kontrafakturen, angefangen – und wirklich nur angefangen! – bei den Namen: So ist Ned Maddstone natürlich ein Anagramm für Edmond Dantès, Simon Cotter, dessen späterer Tarnname, für Monte Christo, und hinter Babe Fraser verbirgt sich ein, wenn auch stilisierter, Abbé Faria. Und doch kann einen am Ende dieser furios erzählten, intelligenten, bildungstrunkenen Scharteke auch ein wenig Ernüchterung ankommen: Der Plot ist und bleibt nun einmal abgekupfert! FRANK SCHÄFER

Stephen Fry: „Der Sterne Tennisbälle“. Aus dem Englischen von Ulrich Blumenbach. Aufbau-Verlag, Berlin 2001, 391 Seiten, 20,41 €

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