piwik no script img

Weltgewissen auf Eis

Wir möchten Sie bitten, noch folgende Frage zu beantworten: Tod oder Lucky Strike? Neue Fotoarbeiten der Münchener Künstlerin Beate Passow im Haus am Waldsee

Achtlos weggeworfen schwimmt eine Zeitungsseite in einer herbstlichen Pfütze. Auch der Spiegel dümpelt im Wasser, von Schwänen beäugt. Erst näheres Betrachten vermag den romantischen Stimmungsbildern auf den trüben Grund zu gehen. Beide Male sieht man nämlich Szenen vom 11. 9. 2001 in New York: Verzweifelte Menschen auf der Suche nach Opfern und ein auf die Twin Towers zurasendes Flugzeug. Beide Male stehen den erschütternden Fotodokumenten Reklameanzeigen gegenüber. Deshalb lautet der Titel der Arbeit auch „TOD’s and Lucky“. Passows farbige Großfotos erinnern an die mediale Verwertbarkeit von Zeitgeschichte, an den Sensationseffekt und an das schnelle Vergessen.

Gegen das Vergessen als sozialer Dysfunktion richten sich alle im Haus am Waldsee gezeigten Arbeiten der in München lebenden Künstlerin Beate Passow; sie reichen von 1992 bis heute. Ihre in der Tradition von Hans Haacke und Klaus Staeck stehende politische Kunst protestiert gegen Rassismus und Gewalt, gegen Terror und Völkermord, vor allem aber gegen deren Verharmlosung und Verdrängung.

Ihre neue Installation „Quelle Privileg“ besteht aus zwei großen Gefrierschränken mit zahlreichen vereisten Büchern – Werken der Weltliteratur und Geschichte. Öffnet man die Türen der Truhen, sieht man Fotos aus Bosnien, Afghanistan und New York. Subtil und zugleich plakativ bedient sich Passow des Mediums der Fotografie, mal leidenschaftslos, mal obsessiv, fast monoman. Noch aus dem Dokumentarischen leitet sich die Serie „Zähler/Nenner“ ab, in der die Künstlerin in immer gleicher Anordnung die Unterarme von ehemaligen KZ-Häftlingen in Auschwitz fotografiert hat. Der immer gleiche Gestus, das Vorführen der tätowierten Häftlingsnummer, führt auf eindringliche Weise die Abrichtung des Menschen vor Augen, seine Verwandlung in Material, seine Tötung vor dem eigentlichen Tod.

Gegen die nazistische Menschenverachtung richtet sich auch die Siebdruckarbeit „möchte ich Sie noch bitten, mir folgende Fragen zu beantworten“, in der Passow Fotos von kindlichen Euthanasieopfern zitiert und in die sakrale Würdeformel des Triptychons überträgt.

Meist sind Passows serielle Fotoarbeiten Inszenierungen. Sie richten sich gegen jede Art von Neonazismus. „Artgemäß“ zeigt die immer gleiche kleine Kammer, durch deren Glastür ein Strick mit Schlinge zu erkennen ist; man liest das Schild: „Ich bin kein Rassist, ich beiße jeden, der über diese Schwelle tritt.“ Oben an der Tür prangen unterschiedliche Namen: Hoyerswerda, Rostock …

In „White Pride“ steht vor einer Tapete aus Breker-Büsten (Adenauer, Abs, Cocteau, Ludwig) ein Spind im Zentrum, darin befinden sich: ein weißes Hemd, eine Maske und jeweils Statuten europäischer Rechtsparteien aus dem Internet. „Bundesbrüder“ mit jungen Männern im Fechter-Dress verweist auf die rechtsradikale Gesinnung von Burschenschaftlern. Die letzte Serie „As long as he suffers – there is no hope“ besteht aus Kreuzigungen europäischer Maler, von El Greco bis Grünwald, in Form von Leuchtkästen. Nur Christus fehlt, Computeranimation hat ihn unsichtbar bemacht. Leid ist universell, und Kreuzzüge sollten der Geschichte angehören

MICHAEL NUNGESSER

bis 17. März, Dienstag bis Sonntag 12 bis 20 Uhr, Haus am Waldsee, Argentinische Allee 30; ZehlendorfDer Katalog kostet 10 Euro

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen