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Produkt übermäßigen Weingenusses

„St.pauli life“ – Klischees zwischen Stadtteilporträt und Reiseführer  ■ Von Gernot Knödler

Die Literatur über St. Pauli ist um ein Werk reicher: eine Ansammlung von St.Pauli-Klischees, eine Mischung zwischen Stadtteilporträt und Reiseführer, nach Angaben seiner Macher ein Produkt übermäßigen Rotwein-Genusses bei Cuneo in der Davidstraße, dem „ältesten italienischen Restaurant in Deutschland“. Birgit Henssler und Werner Selmer saßen sozusagen mitten im Thema und beschlossen ein Buch zu machen über den Stadtteil, der sie so faszinierte.

Entstanden ist ein Hochglanz-Band von rund 250 Seiten und nebenbei eine kleine Firma, die bereits ein weiteres Buch oder ein Hamburg-Magazin geplant hat. Für den St. Pauli-Band organisierten sie Geld von der Tourismus-Zentrale und zusätzliche Manpower der Mopo. Deren Chefreporter Olaf Wunder und sein Foto-Kollege Volker Schminkus porträtierten Prostituierte und Gangster, den Zeugwart vom FC und den Immobilien-König Willi Bartels.

Übersichtlich entfaltet er der LeserIn ein Panorama des Stadtteils – mit den üblichen Versatzstücken von dessen maritimer Vergangenheit, übers Milieu und die mehr oder weniger gepflegte Unterhaltung zum ganz normalen Leben. Spaziergänge bieten für die wichtigsten Bereiche einen Querschnitt – an der Hafenkante entlang, durch Pornoläden und Puffs, durch die Geschichte und von Party zu Party. Lebendes Kiez-Inventar von Hans Albers über Ex-Domina Domenica zu Herrn Holm und dem Nackedei-Maler Erwin Ross wird gesondert bedacht, dazu, na klar, Herbertstraße, Davidwache, Cafe Keese. Ein kleiner, jedoch nur einigermaßen vollständiger Extra-Führer für die Jackentasche liefert die Adressen.

Aber zumindest einige weniger spektakulären Seiten des Stadtteils kommen auch zu ihrem Recht, etwa das Bernhard Nocht-Institut für Tropenmedizin, das hart erkämpfte Gesundheitszentrum auf dem Gelände des ehemaligen Hafenkrankenhauses und die Steg, die ein Sanierungsgebiet im Kiez betreut. Wie Spiegel-Chefredakteur Stefan Aust in dieses Kapitel gerutscht ist, erschließt sich nicht recht. Eventuell durch seine Vergangenheit als Redakteur der St. Pauli-Nachrichten.„Schön, dass Sie uns besuchen“, schreibt Georg Rhese, Pastor an der St. Pauli-Kirche, in seinem Vorwort.

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