zwischen den rillen: Der Trance-DJ Timo Maas leistet sich ein Artist-Album
Eigenlogik der Insel
Manch popkulturelles Phänomen scheint unerklärlich. Der unermessliche Erfolg der Filmklamotte „Der Schuh des Manitou“ ist so ein Fall. Noch so ein Fall ist der Hamburger DJ Timo Maas, der inzwischen in England als Technogott gehandelt wird, was vor allem die Frage aufwirft: Warum das denn?
Es ist eine seltsame Geschichte: Lange Zeit wenig erfolgreich herumtingelnder Trance-DJ aus der Provinz, der früher aussah wie der junge Campino und jetzt auch nicht viel besser, wird über Nacht zum frenetisch umjubelten „german wunderkind“ hochgejubelt und von Superstars wie Madonna oder Kelis um Remixe angebettelt. Und was ist der Auslöser für den ganzen Trubel? Lediglich ein Remix zur rechten Zeit: Seit die Maas-Version des längst vergessenen Smash-Hits von Azzido da Bass „Doom’s Night“ auf dem Londoner Notthinghill-Carneval rauf und runter genudelt wurde, gilt Maas in England als Held, der mit DJ-Größen wie Carl Cox oder Paul Van Dyjk in einer Liga spielt. Dabei ist er nicht etwa „süß“ wie dieser, höchstens ähnlich langweilig: Van Dyjk ist gegen Drogen, und Timo Maas besitzt einen Weinkeller: so sieht heute der Lifestyle der DJ-Elite aus.
Nun stehen wir also – nach einer Unzahl von Maxis, Remixen und Mixalben – vor Maas’ erstem, unvermeidbar gewordenen Longplayer „Loud“, der vor allem eines belegt: dass DJs, genauso wie Boygroups, alles beherrschen müssen – außer das Produzieren von aufregenden Platten. Das Werk ist eine solide Mischung aus House, Techno und Bigbeat – alles routiniert zusammengetragen, aber gerade einmal gehobenes Mittelmaß.
Anhand der Platte lässt sich für die Maas-Euphorie keine Erklärung finden. Dafür muss man sich schon die Struktur der heutigen Danceszene vornehmen, die in England auf einem anderen Fundament als in Deutschland fußt. Während man bei uns als DJ möglichst subkulturelle Integrität bewahren sollte, die von an kryptoelektronischer Musik interessierten Key-Medien wie der De:Bug überwacht wird, in der einer wie Mousse T. keine Chance hat, kann englischen Danceblättchen wie Mixmag oder Ministry ein DJ gar nicht populistisch genug sein. Während bei uns die Love Parade als Techno- Perversion betrachtet wird, tragen die wie Firmen betriebenen englischen Riesenclubs samt Merchandising und hauseigenem Label wie Ministry Of Sound oder Gatecrusher den Konflikt zwischen Underground und Mainstream in sich aus und lassen eine diffuse Angst vor dem Superstar-DJ gar nicht erst zu. Techno wird auf der Insel als Business akzeptiert, und die immer noch lebendige Ravekultur hat ihre – falls überhaupt jemals vorhandenen – ideologischen Wurzeln gekappt und ist nur noch das Geschäft mit der guten Party. Ikonen wie Maas sind dafür ungleich wichtiger als in der mit Skepsis und Underground-Ethos ausgestatteten deutschen Danceszene. Dazu kommt im Falle Maas die anhaltende Begeisterung für Trance, der als deutsche „Erfindung“ angesehen wird, und spätestens seit dem immens erfolgreichen Trance-DJ Paul Van Dyk wird allein schon das Deutschsein als Qualifikation für den Job als Partyeinheizer angesehen.
Eigentlich bräuchte Timo Maas eine Platte wie „Loud“ überhaupt nicht: Auf dem Gebiet, auf dem er sich bewegt, sorgen Kracher auf DJ-freundlichem Vinyl und ein gutes DJ-Set weit eher für Reputationssteigerungen als ein „seriöses“ Artist-Album. Dass sich Maas sein Album als eine Art Luxus leistet, merkt man ihm denn auch an: Er versucht erst gar nicht, Fatboy Slim auf der Überholspur anzugehen, und liefert mit Gastauftritten von Kelis und dem Soulboy Finlay Quaye Belege dafür, dass er, Timo Maas, zumindest privat einen guten Musikgeschmack hat. Trance dagegen, in Deutschland der Inbegriff der Schlumpftechnoprolligkeit, kommt gar nicht zum Zug.
„Loud“ wird rein gar nichts am Status von Timo Maas verändern, sie ist völlig egal. In England werden sie ihn weiterhin lieben, und in Deutschland trotz Kelis die Nase rümpfen. Eigentlich braucht diese Platte wirklich niemand, außer vielleicht Timo Maas selbst: als künstlerischen Gottesbeweis, sich selbst gegenüber.
ANDREAS HARTMANN
Timo Maas: „Loud“ (Perfecto)
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