: Die Frau als Knautschzone
Überall wo Staaten ihre Gesundheits- und Sozialsysteme kürzen, kümmern sich Frauen um die Kinder, pflegen ihre Angehörigen und üben Nächstenliebe
von UTE SCHEUB
Die Frau ist eine praktische Erfindung. Sie kann bis zur Unkenntlichkeit geknautscht und als universeller Puffer eingesetzt werden, überall da, wo es kracht und quietscht. Wenn irgendwo auf der Welt ein Staat sein Gesundheits- und Sozialsystem kürzen muss: Kein Problem, es gibt ja die Frauen, die unbezahlte Arbeit gewöhnt sind. Blauer Brief aus Brüssel? Kürzen wir halt weiter an den Schulen, die deutschen Frauen werden sich schon um ihre Brut kümmern. Bankrott der argentinischen Sozialprojekte? Es werden sich sicher ein paar finden, die sich in christlicher Nächstenliebe aufopfern. Aids-Epidemie in Kenia? Vom 16-Stunden-Tag einer Bäuerin werden sich wohl auch noch zwei Stündlein für die Pflege Angehöriger abzwacken lassen.
So könnte man, ein wenig sarkastisch, das Ergebnis von drei Tagen Weltwirtschaftsanalyse aus der Sicht internationaler Fachfrauen zusammenfassen. Die Bundestags-Enquetekommission „Globalisierung der Weltwirtschaft“ hatte jüngst zum Hearing „Globalisierung und Gender“ in den Reichstag geladen, es folgte eine Konferenz der Heinrich-Böll-Stiftung unter dem etwas sperrigen Titel „Gender-Budgets, Finanzmärkte und Entwicklungsfinanzierung“.
Die Frau als Puffer, das war im Reichstag sogar körperlich spürbar: Das Interesse von 250 zumeist weiblichen Zuhörern war so überbordend, dass kaum ein Zentimeter Platz mehr übrig blieb. Die Reihen der Bundestagsabgeordneten hingegen zeigten enorme Kahlstellen, besonders bei der CDU, und auch auf der Pressebank verloren sich gerade mal zwei Frauen. Eine Anordnung, die Bände sprach.
Aber bitte keine Missverständnisse: Um die primitive Gleichung Frau gleich armes Opfer ging es nun wirklich nicht. Gut ausgebildete Frauen, ob in Westeuropa oder Südostasien, sind in vielen Fällen die Gewinnerinnen der Globalisierung, während unqualifizierte Männer von Mecklenburg-Vorpommern bis Kapstadt zu den Verlierern gehören. Und: Sie kenne viele Frauen, die sich inzwischen wie Männer verhielten, meinte die renommierte US-Soziologin und Migrationsspezialistin Saskia Sassen. Deshalb spreche sie lieber von „female subjects“, Menschen vorwiegend weiblichen Geschlechts, die traditionelle Frauenrollen übernähmen.
Diese leisteten nicht nur unbezahlte Reproduktionsarbeit, sondern sorgten als Migrantinnen, Haushaltshilfen oder Sexarbeiterinnen auch für die „Überlebenskreisläufe“ hoch verschuldeter Nationen. Jamaika, dessen Landwirtschaft von „billigem EU-Gemüse“ ruiniert worden sei, exportiere inzwischen Krankenschwestern in die USA, ergänzte hier die Ökonomin Mariama Williams aus Kingston.
Internationaler Währungsfonds (IWF) und Weltbank hätten komplett versagt, führte Saskia Sassen weiter aus. Kein einziges Land, das in den Achtzigerjahren einen IWF-Kredit bekam, habe seine Schulden verringern können, inzwischen gäbe es 50 hyperverschuldete Staaten. In einer „Wirtschaft der Verzweiflung“, wo jedes normale Unternehmertum zerstört werde – ob in Thailand während der Asienkrise oder auf dem Balkan während der Kriege der Neunzigerjahre –, würden „Menschenhandel, Tourismus und Sexhandel zu Schlüsselindustrien“. Die russische Finanzkrise, berichtete Simel Esim, Frauenforscherin aus der US-Hauptstadt Washington, habe ihren „Wodkaeffekt“ über alle osteuropäischen Länder ausgeschüttet. Um ihre Familie zu ernähren und ihre Kinder zu versorgen, hätten sich Millionen von Osteuropäerinnen als Heimarbeiterinnen verdingen müssen und klebten nun Schuhsohlen und Ähnliches zusammen.
Wie soll man da bloß herauskommen? Und was soll der UN-Konferenz über Entwicklungsfinanzierung vom 18. bis 22.März im mexikanischen Monterrey auf den Weg gegeben werden? Der Vorschläge waren viele: eine „gemischte Entwicklung“, fairer Handel, Regionalisierung der Wirtschaftskreisläufe, Abschaffung oder völlige Neustrukturierung von Internationalem Währungsfonds und Weltbank.
Und bitte Reformen bis hinunter zu den kleinen Banken. Frauen seien nach wie vor weniger kreditwürdig als Männer, beschwerte sich die Unifem-Beraterin Maria Floro, obwohl sie doch viel zuverlässiger das Geld zurückzahlen und viel weniger Risiken eingehen würden als etwa die Enron-Pleitiers oder Leo Kirch. Sind Frauen etwa die vernünftigeren Kapitalistinnen? Mariama Williams war skeptisch, für sie ist das Schuldenmachen der Beginn vieler Übel: „Diese Kreisläufe sind Masken des Akkumulationsprozesses, der sich, siehe Sklavenhandel, immer neu wiederholt.“ Die Jamaikanerin jedenfalls hat keinerlei Lust, Knautschzone zu spielen.
Dokumentation unter: www.glow-boell.de (über „About us“ und Suchbegriff „Gender Budget“); demnächst auch: www. bundestag.de/globalisierung
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