piwik no script img

Billig-Betreung für Flüchtlinge

Rechtlich umstritten, aber preiswert: Jugendliche Flüchtlinge sollen künftig weniger intensiv betreut werden als deutsche Jugendliche  ■ Von Marco Carini

Minderjährige unbegleitete Flüchtlinge sollen in Zukunft nicht mehr intensiv betreut werden. Das sieht ein entsprechender Vorschlag des Amtes für Jugend vor, der heute in der innerbehördlichen Koordinierungsgruppe Jugendhilfe beraten wird. Der Plan, der die Betreuungskosten für ausländische Jugendliche drastisch absenken wird, ist nicht nur sozialpolitisch, sondern auch rechtlich umstritten. Denn er widerspricht dem Gleichbehandlungsgrundsatz zwischen deutschen und ausländischen Jugendlichen und hebelt für die Betroffenen den Rechtsanspruch auf so genannte „Hilfen zur Erziehung“ aus.

Darum geht es: Besonders betreuungsbedürftigen Jugendlichen steht eine Intensivbetreuung in Jugendwohnungen nach Paragraph 34 des Kinder- und Jugendhilfegesetzes zu. Der bis Ende des Jahres gültige Rahmenvertrag zwischen Landesjugendamt, Wohlfahrtsverbänden und Trägern der Betreuungsmaßnahmen sieht einen Stellenschlüssel von einer PädagogIn für durchschnittlich 2,14 Jugendliche vor. Unter den etwa 1200 so betreuten Jugendlichen in Hamburg befinden sich auch rund 140 minderjährige unbegleitete Flüchtlinge. Aufgrund ihrer Sprach- und Integrationsprobleme und dem fehlenden familiären Hintergrund wurde ihnen ein „erheblicher erzieherischer Bedarf“ bislang attestiert.

Das noch streng geheime Behördenpapier sieht nach Informationen der taz nun vor, jugendlichen Flüchtlingen grundsätzlich keine Intensivbetreuung mehr angedeihen zu lassen. Sie sollen nur in Maßnahmen mit dem Stellenschlüssel von höchstens 1:4,5 betreut werden. Nach diesen Plänen erhalten unbegleitete Flüchtlinge erstmals ein anderes, wesentlich schlechteres Jugendhilfeangebot als deutsche Jugendliche. Eine Ungleichbehandlung die schwer mit dem Grundgesetz und dem Kinder- und Jugendhilfegesetz vereinbar ist. Denn dieses schreibt einen Gleichbehandlungsgrundsatz zwischen allen Jugendlichen mit vergleichbaren Problemen vor und garantiert einen Rechtsanspruch auf geeignete Erziehungshilfen, also auch auf Förderung nach Paragraph 34.

Die Sozialbehörde bestätigte am Wochenende, dass die Koordierungsgruppe heute über das Thema beraten wird. Als Grund gibt sie die verschärften Altersfestsetzungen an, aufgrund derer die Altersangaben von Flüchtlingen in Hamburg regelmäßig nach oben korrigiert werden. „Dadurch haben wir weniger jugendliche Flüchtlinge und damit Lehrstände in den entsprechenden Betreuungseinrichtungen“, betont Sozialbehördensprecherin Anika Wichert. Deshalb sei eine „Neubewertung der Betreuung jugendlicher Flüchtlinge notwendig“.

Ob nun die bestehenden Betreuungseinrichtungen für jugendliche Flüchtlinge personell ausgedünnt oder die minderjährigen AusländerInnen künftig in Sammellager untergebracht werden, ist noch unklar. Für Dirk Hauer von der Sozialpolitischen Opposition ist eine gesellschaftliche Integration der Flüchtlinge unter den geplanten Änderungen nicht möglich: „Es erfordert einen hohen Aufwand, den Jugendlichen beim Übergang von ihrer in unsere Kultur zu helfen, ihnen Deutsch-Kenntnisse zu vermitteln und Ausbildungs-Perspektiven zu eröffnen.“

Doch das sei, so Hauer, „offensichtlich nicht mehr gewollt“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen