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Ich will ein Sparschwein sein

8.500 Schüler, Lehrer und Eltern der freien Schulen Berlins demonstrierten am Samstag gegen geplante Kürzungen. Neben Geduld und Kälteresistenz bewiesen „die Kleinen“ Einfallsreichtum

Schüler: „Die Banken blüh’n. Die Schulen verdorren. Der Geist ist verworren.“ Passanten: „Das machen die doch nur, um nicht in die Schule gehen zu müssen.“

von THILO KUNZEMANN

Nach drei Stunden in der Kälte macht sich Monique Salomons rosa Schweinenase bezahlt. Ihre Mitschüler aus dem Oberlin-Seminar, einer evangelischen Schule in freier Trägerschaft, stehen mit rotgefrorenen Nasen am Springbrunnen auf dem Wittenbergplatz. Die Nase der 18-Jährigen aber bleibt unter dem selbstgemachten Papprüssel warm. „Ich will ein Sparschwein sein“, sagt sie und trägt deshalb auch rosa Schweineohren, gebastelt aus einem zersägten Pappteller.

Ein Sparschwein für das Land Berlin. Denn jeder freie Schüler koste die Stadt pro Jahr 2.300 Euro weniger als ein Schüler einer staatlichen Schule. Trotzdem wolle der Senat jetzt die Lohnkostenzuschüsse von 97 auf 90 Prozent kürzen. Das lässt sich – neben verbalen Spitzen wie „Gleichberechtigung nur für Schwule, Herr Wowereit?“ – auf vielen Plakaten, Flyern und Transparenten nachlesen, die die rund 8.500 Schüler, Lehrer und Eltern vom Nollendorfplatz und der Uhlandstraße zur Kundgebung auf den Wittenbergplatz geschleppt haben.

Die Schüler sind gut informiert, schließlich haben sie seit Tagen für die Abschlussdemonstration ihrer Protestwoche gearbeitet. Waldorfschüler aus dem Märkischen Viertel verteilen „Berliner Sparspäne“ – selbst gehobelt im Werkunterricht. „Sprücheklopfer“ steht auf einem Pappschild, das an Christian von Schlichthuvlls Rucksack baumelt. Über seiner Schulter trägt der 19-Jährige einen Teppichklopfer. Und zum Demoauftakt sang er mit einigen Mitschülern des Oberlin-Seminars zur Melodie des Pippi-Langstrumpf-Liedes einen Abgesang auf Bürgermeister Klaus Wowereit und Bildungssenator Klaus Böger (beide SPD).

Warm eingepackt und gut gelaunt waren sie über die für den Verkehr gesperrte Kleiststraße marschiert. Nach einem zweieinhalbstündigen Reden- und Theaterprogramm bei fünf Grad Celcius stehen sie nun still und stumm neben dem leeren Springbrunnen. Ihre Finger sind blau gefroren, die Plakate (–Pferde werden gerettet. Wir werden notgeschlachtet“) hängen auf halbmast. „Aber wir bleiben bis zum Schluss“, sagt Sebastian.

Mit einem Großaufgebot an Rednern und Showeinlagen wollten die Veranstalter um Alexander von Dresky, Geschäftsführer der Waldorfschule im Märkischen Viertel, bei den Passanten für Aufmerksamkeit sorgen.

Doch die Empörung springt nicht so recht über. Das Rahmenprogramm – Macht der Gewohnheit – erinnert stellenweise eher an die klassisch steife Feier eines Schuljubiläums. „Die Damen und Herren des Sozialkundeunterrichts aus dem Märkischen Viertel bitte vor der Bühne sammeln. Und dahinten etwas leiser mit den Trillerpfeifen.“

Was folgt, ist eine leidlich amüsante und stellenweise eintönige Verdammung der rot-roten Koalition, gepaart mit den immergleichen – aber durchaus sinnvollen – Argumenten für freie Schulen.

Die Schauspielerin Eva Matthes (Das Sams) kritisiert, dass „Sozialdemokraten und Sozialisten“ mit ihren Sparplänen die Berliner nach sozialen Schichten trennen wollten. Der evangelische Bischof Wolfgang Huber bekundet seinen festen Willen auch in Zukunft evangelische Schulen in Berlin zu führen, und sein katholischer Amtskollege, Weihbischoff Wolfgang Weider, bezeichnet den Protest als „ermutigende Demonstration für die Freiheit“.

Viel bemerkenswerter sind die tausend kleinen Details, mit denen viele Schüler, die frierend in der Menge warten, ihren Protestzug ausstaffierten. Katholische Theresienschule steht auf einem Segel, und darunter: „Rot-Rot treibt unsere Schulen in Seenot.“ Erstklässler der Sankt Ursula Schule aus Zehlendorf rennen, in blaue Müllsäcke gepackt, durch die Menge und spielen „Fangen“. Ein kluger Zug der Schulleitung, so werden auch Passanten auf die Botschaft „Ich bin 2.300 Euro wert“ aufmerksam. Und lassen sich von der neunjährigen Josefina Lehmann, ebenfalls im Müllsack: „Schön warm“, Flyer überreichen.

Mit bunter Kreide bekritzeln Gleichaltrige die Straße vor dem U-Bahnhof Wittenbergplatz. Lustig sieht das aus, wenn zwei achtjährige Mädchen skeptisch ihr unvollendetes Werk betrachten („Politika sparen …“) und heftig über die richtige schreibweise von „Politika“ streiten. Ein Pärchen auf Sonntagsspaziergang bleibt stehen und beobachtet die Szenerie. „Das machen die doch nur, um nicht in die Schule zu gehen“, sagt sie und zieht ihn ins KaDeWe.

Schulsenator Klaus Böger hingegen ließ sich von der Protestwoche der freien Schüler beeindrucken. Er kündigte an, die Lohnkostenzuschüsse statt um 7 Prozent nur um 2 Prozent kürzen zu wollen. Aus diesem Grund will Monique, auch wenn sie friert, bis zum Ende bleiben. „Zwei Minuten demonstrieren bringt doch genauso wenig, wie zwei Minuten eine Schweinenase tragen“, sagt sie und rückt ihren Rüssel zurecht.

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