: Bessere Atmosphäre als bei Schwarz-Rot
Der rot-rote Senat ringt um seinen ersten Sparhaushalt. Wirtschaftssenator Gysi verzichtete bei der Senatsklausur darauf, kurz zum PDS-Parteitag in Rostock zu fliegen. Der Regierende Bürgermeister Wowereit lobt Klima
Gregor Gysi hatte sich das anders gedacht. Mit dem Kleinflugzeug wollte er für ein Stündchen weg von der Senatsklausur, um kurz beim PDS-Parteitag in Rostock nach dem Rechten zu schauen. Alles war arrangiert, die Maschine stand bereit, doch Hobbyflieger Gysi kam nicht. Die Verhandlungen um den Etat 2002/2003 hielten den Wirtschaftssenator im Senatsgästehaus am Tisch. Dort, ein paar Meter vom Grunewald, sollte es nach Plan gemächlicher abgehen. Weder die Nachtsitzung zum Sonntag noch der überlange Verhandlungstag gestern waren vorgesehen. Zu Redaktionsschluss lag noch kein Beschluss über die Verteilung der Gelder vor. Bis spätestens zur Senatssitzung am Dienstag soll der Doppelhaushalt unter Dach und Fach sein.
„Wir sind zügig vorangekommen“, sagte der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) gestern Abend. Die Atmosphäre sei konstruktiv gewesen. Das Klima zwischen den Verhandlungspartnern sei besser als zwischen SPD und CDU in Zeiten der großen Koalition gewesen. „Ich habe auch den Eindruck, dass die einzelnen Fachsenatoren nicht mauern.“ Was im Senat verabredet werde, werde auch Bestand haben. Wirtschaftssenator Gysi betonte, dass Wissenschaft und Bildung weiterhin Vorrang hätten – „natürlich unter den Gegebenheiten des Haushaltes“. Details und konkrete Zahlen wollte auch Gysi nicht nennen.
Zuvor hatte der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit seinen Finanzsenator gegen Kritik in Schutz genommen. „Ich stehe vor und hinter Sarrazin, je nachdem, wo der Angriff herkommt.“ Sarrazin hatte vor der Klausurtagung eine zehnprozentige Senkung der Gehälter im öffentlichen Dienst angekündigt. Dieser so genannte Solidarpakt mit den Gewerkschaften war bei der gestrigen Senatsklausur allerdings kein Thema. Die Kürzung bei der Sozialhilfe, wie sie vor der Klausur im Gespräch war, ist mittlerweile vom Tisch.
Der PDS-Landesvorsitzende Stefan Liebich sagte am Rande des Parteitags in Rostock, die Klausur sei kein Zuckerschlecken. Eine höhere Verschuldung Berlins lehnte er aber ab.
Kernpunkt der Gespräche war die angepeilte Sparsumme von einer Milliarde Euro – tausend Millionen, eine eins mit neun Nullen. Vor dem Senatsgästehaus hatten zu Beginn der Beratungen rund 150 Demonstranten gegen Kürzungen im Bildungssektor und bei der Versorgung psychisch Kranker protestiert.
Am schwierigsten gestalteten sich nach Aussage von PDS-Fraktionschef Harald Wolf die Kürzungen bei den Sachausgaben. Hier will der Senat 350 Millionen Euro einsparen. Er bekräftigte, dass an der Priorität für Bildung, Kultur und Wissenschaft festgehalten werde. Diese Bereiche müssten weniger Einsparungen als andere Ressorts erbringen. Parallel dazu sprach sich Monika Griefahn, Chefin des Bundestagskulturausschusses, gegen Kürzungen bei der Kultur aus. Die Hauptstadt lebe von der Kultur, sagte sie in einem Radiointerview.
Begleitet wurden die Verhandlungen von einem Bericht des Magazins Focus über eine Austrittswelle bei der SPD. Demzufolge haben seit Beginn der rot-roten Koalition etwa 700 Sozialdemokraten ihre Partei verlassen. Eine SPD-Sprecherin dementierte und sagte, es seien 285 Parteigenossen mit Verweis auf die Koalition ausgetreten.
Der frühere Regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Schütz (SPD), hält indes ein vorzeitiges Ende der rot-roten Koalition in der Hauptstadt für möglich. „Ich befürchte, dass SPD und PDS nicht in der Lage sind, die großen Probleme Berlins zu lösen“, sagte er in einem Zeitungsinterview. Es werde zwar darüber gesprochen, wo überall Geld weggenommen werden soll, aber er „höre nicht, wie man die Lebensfähigkeit der Stadt erhalten will“. Die Probleme Berlins seien einfach zu groß, so dass man sehr skeptisch sein müsse. Nach seiner Einschätzung werden die nächsten vier bis fünf Monate entscheidend sein. STEFAN ALBERTI
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