piwik no script img

Paschas tappen in die Falle

Türkische Abgründe: Ein Anti-PKK-Kämpfer wird wegen „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ verurteilt. Exgeneräle schimpfen: Er habe nur Befehle ausgeführt. Damit haben sie sich verplappert

aus Istanbul JÜRGEN GOTTSCHLICH

„Der Mann ist ein Held. Ein Soldat, der seinen Job perfekt gemacht hat und nie undiszipliniert war. Was wird diesem Mann eigentlich vorgeworfen?“ Der frühere türkische Generalstabschef „Pascha“ Dogan Güres ist ungehalten. Zusammen mit drei anderen Exgenerälen meldete er sich Mitte letzter Woche aus dem Ruhestand zu Wort, um seinen Helden vor dem Knast zu retten. „Dieser Mann“, polterte Güres, „hat nur getan was wir ihm befohlen haben.“

Der Held, um den es geht, heißt Korkut Eken. Er ist ein großer, schweigsamer Mann mit dunkler Sonnenbrille. Letzte Woche wurde er in letzter Instanz wegen „Bildung einer kriminellen Vereinigung innerhalb des Staates“ verurteilt. Eken ist ein hoher Offizier des türkischen Geheimdienstes MIT und war Mitte der 90er-Jahre die rechte Hand des damaligen Innenministers Mehmet Agar. Eken war der operative Kopf der „Susurluk-Bande“.

Damit taucht in der öffentlichen Auseinandersetzung ein Begriff plötzlich wieder auf, den viele bereits vergessen geglaubt hatten. „Susurluk“ ist das Synonym für die Zusammenarbeit des türkischen Staates mit kriminellen, mafiosen Gangs aus dem rechtsradikalen Umfeld, die angeheuert wurden, um im Krieg gegen die kurdische PKK Leute zu ermorden, die der Unterstützung der PKK verdächtigt wurden. Diese Geschichte, schrieb dieser Tage Ismet Berkan, Chefredakteur der Tageszeitung Radikal, ist weitestgehend bekannt – „nur sind daraus bislang kaum Konsequenzen gezogen worden“.

Zwar hat es Prozesse gegeben und einige Leute sind verurteilt worden, doch haben die Gerichte sich bisher gescheut, die eigentliche Frage nach der Legalität von Mord im Staatsauftrag zu stellen. Stattdessen ging es um Drogengeschäfte und persönliche Bereicherung. Auch Korkut Eken wurde jetzt wegen krimineller Delikte verurteilt – und das ist genau der Punkt, an dem die Generäle mit ihrer Kritik ansetzen. Für sie war Eken eine wichtige Figur, die nur akkurat ihre Befehle befolgte. Doch welche Befehle wurden damals erteilt?

Eken war zusammen mit Innenminister Mehmet Agar, dem politischen Kopf der Mafiagangs aus den Kreisen der Grauen Wölfe, der Organisator von Spezialteams, die den Auftrag hatten, angebliche PKK-Unterstützer zu ermorden. Von 1993 bis 1996, der Hochzeit des Krieges im kurdischen Südosten der Türkei, wurden in Istanbul und anderen Orten im Westen des Landes dutzende von kurdischen Geschäftsleuten, Journalisten oder anderen Opponenten der Kriegspolitik umgebracht. Kein Mord konnte aufgeklärt werden, aber jeder wusste Bescheid: Das waren gezielte Attentate mit Deckung wichtiger Kräfte im Staatsapparat. Wie wichtig diese Kräfte waren, wurde erst durch einen Autounfall richtig klar. Auf dem Rückweg von einem Strandurlaub raste 1996 in dem Ägäisstädtchen Susurluk ein schwerer Mercedes in einen Lkw. Von den vier Insassen des Mercedes überlebte nur einer, der Parlamentsabgeordnete Sedat Bucak. Die toten Beifahrer waren der frühere Istanbuler Polizeichef Hüseyin Kocadag, eine Sängerin, Gonca Uz – und der über Interpol gesuchte bekannte Graue Wolf Abdullah Catli. Auf die Frage, was die alle zusammen in einem Auto machen, und woher die Waffen und falschen Papiere im Kofferraum stammen, gab es erstaunliche Antworten. Nach und nach erfuhr die Öffentlichkeit zumindest einen Teil der Zusammenhänge: Der Abgeordnete Bucak, zugleich ein kurdischer Großgrundbesitzer, befehligte eine Privatmiliz, die mit den staatlichen Spezialteams zusammen PKKler jagte, und der Polizeichef deckte Catli, der als Killer mitmischte.

Seit PKK-Chef Abdullah Öcalan 1999 gefangen und zum Tode verurteilt wurde, war über die ganze Angelegenheit Gras gewachsen. Der Krieg gegen die PKK gilt als gewonnen. Güres und seine Kollegen halten sich bis heute für unangreifbar. Doch ihr jetziges Outing per Richterschelte könnte zum Bumerang werden. Das erste Ziel ihrer Intervention scheiterte bereits. Zwei Tage nach dem spektakulären Presseauftritt wies die Staatsanwaltschaft beim Obersten Gericht am Freitag einen letzten Einspruch von Korkut Eken zurück, womit seine Verurteilung rechtskräftig wurde.

Nun werden mehr und mehr Forderungen laut, die Generäle selbst zur Verantwortung zu ziehen. Die Staatsanwaltschaft prüft den Verdacht, ob Exgeneralstabschef Güres und seine Mitstreiter sich durch ihre öffentlichen Äußerungen der „Glorifizierung von Straftaten“ schuldig gemacht haben. Ergin Cinmen, ein führender Bürgerrechtsanwalt, forderte gar, die Generäle wegen Anstiftung zum Mord anzuklagen. Die Istanbuler Anwaltskammer hat sich dieser Forderung angeschlossen. Schließlich haben die Paschas für jeden vernehmbar gesagt: Wir haben die Befehle erteilt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen