: Partei des Imperiums
Die Grünen akzeptieren mit ihrem Grundsatzprogramm die militärische Präsenz der USA in Europa und ermöglichen deren außenpolitische Abenteuer von deutschem Boden aus
Nun haben die Grünen also ein neues Programm. Warum nur? Vielleicht weil Grundsätze zunächst einmal nicht mehr sind als unkonkrete Prinzipien, manche sagen Werte, die besonders bei sich verändernden oder gar unübersichtlichen Lagen das eigene (politische) Handeln orientieren können. Das ist ja schon mal etwas. Ein Grundsatzprogramm wird entsprechend vor allem wertgeleitete Absichtsbekundungen enthalten. Schließlich ist die Linke seit Hegel und Marx gewohnt, in der Wirklichkeit Tendenzen aufs Intendierte zu entziffern, um dem Vorwurf weltfremden Projektierens zu entgehen und sich selbst im Einklang mit dem vernünftigen Lauf der Weltgeschichte zu sehen.
Anders als aus derartigen Motiven heraus lässt sich kaum erklären, warum der ansonsten so harmonische bündnisgrüne Parteitag kurz vor seinem Ende beinahe noch gescheitert wäre, und zwar an einer Frage, die auf den ersten Blick mit Grundsätzlichem kaum etwas zu tun hat. So kam aus dem notorisch provinziellen Rheinland-Pfalz ein Antrag, der auf den langfristigen Abzug von US-Truppen aus Europa zielte und sich gegen folgende Formulierung des Bundesvorstandes richtete: „Die Integration im transatlantischen Bündnis samt dem dauerhaften amerikanischen Engagement in Europa spielt eine wichtige Rolle.“ Jürgen Trittin rettete die Situation durch eine an und für sich triviale Formulierung und ersparte zumindest für das nächste halbe Jahr Außenminister Fischer die Peinlichkeit, seinem US-Kollegen Powell wie ein dummer Schuljunge unter die Augen treten zu müssen: „Ein weiterer Abbau der militärischen Potenziale muss dabei unser Ziel bleiben.“
Festzuhalten bleibt gleichwohl, dass die militärische Präsenz der USA in Europa von nun an zu den grundsätzlichen, nicht nur situativ akzeptierten Überzeugungen der Bündnisgrünen gehört. Dabei geht es nicht nur um eine transatlantische Orientierung, etwa um den Wunsch einer langfristigen Politik von USA und EU auf gleicher Augenhöhe, sondern um äußerst konkrete, militärpolitische Optionen, etwa um die Stationierung der US Air Force in Ramstein. Vor zwanzig Jahren, als sowjetische Raketen ebenso wie die massiven konventionellen Verbände des Warschauer Pakts Westeuropa bedrohten, wäre eine derartige Festlegung sinnvoll gewesen. Heute indes, da – wie es immer wieder heißt – Deutschland nur noch von Freunden umgeben ist, erschließt sich der Sinn dieses Bekenntnisses nicht ohne Weiteres. Als aktuelle Begründung könnte immerhin der weltweite Terrorismus herhalten, der ja nach des Außenministers Worten „mit allen Mitteln bekämpft“ werden müsse. Ramstein, Heidelberg und andere US-amerikanische Stützpunkte fungierten dann als logistische Drehkreuze zur militärischen Intervention im Nahen Osten, im Kaukasus und in Mittelasien. Mit Kriegspolitik soll all dies indes nichts zu tun haben, denn: Es gebe im Bundestag – so der Außenminister vollmundig – keine Mehrheit für einen Militärschlag gegen den Irak. Zudem hat der Parteitag den Parlamentsvorbehalt für einen Bundeswehreinsatz beglaubigt und mit der Forderung nach einer entsprechenden Zweidrittelmehrheit verschärft.
Doch ändert all dies an der grundsätzlichen Unterwerfung unter eine imperial verstandene USA nichts, im Gegenteil. Was geschieht eigentlich, wenn die USA nach reiflicher Überlegung gleichwohl zu dem Schluss kommen, den Irak anzugreifen, und sei es unilateral, ohne Beteiligung der Nato-Partner? In diesem Fall wird man mit Interesse beobachten, wie es die Bundesrepublik Deutschland mit Überflugrechten für die USA hält. Das jetzt verabschiedete Grundsatzprogramm schließt die Verweigerung derartiger Überflugrechte praktisch aus und stellt damit umgekehrt nicht weniger als eine Garantie für außenpolitische Abenteuer der USA von deutschem Boden aus dar.
Tatsächlich, und darin besteht die Bedeutung dieser auf den ersten Blick verqueren Debatten, ist damit zum ersten Mal nach dem Ende des Kalten Krieges in einem Parteiprogramm die Tatsache anerkannt, dass die Hegemonialität der USA mehr und anderes ist als lediglich ein zufälliger außenpolitischer Umstand, zu dem man sich so oder auch anders verhalten kann. Hier sind die Grünen wie stets auf der Höhe der Zeit. Die USA erscheinen als das letzte, das ultimate Imperium. Nach dem Untergang des Römischen Reiches, des napoleonischen Europa, des britischen Empire, des Osmanischen Reiches und der Sowjetunion sind die USA heute ebenso zu unserem politischen, ökonomischen und auch mentalen Schicksal geworden, wie Rom in der Antike zum Schicksal der Gallier, Griechen und Nordafrikaner wurde.
Lässt sich dieser Zustand nur dadurch überwinden, dass man ihn unterwürfig bejaht? Ist er am Ende gar zu begrüßen? Indem die Bündnisgrünen sich einerseits – subjektiv durchaus glaubhaft – als Partei der Menschenrechte deklarieren, andererseits jedoch die Hegemonie der USA ebenso grundsätzlich beglaubigen, stellen sie als Partei nicht weniger als die Avantgarde einer imperialen Vergesellschaftung dar und bestätigen so auf Punkt und Komma die These des Autorenduos Antonio Negri und Michael Hardt.
In ihrem neuen Buch behaupten die beiden Sozialphilosophen nämlich, dass sich nach dem absehbaren Ende der Nationalstaaten eine neue Souveränitätsform etabliere, das „Empire“. Diese neuartige Form kapitalistischer Souveränität erstrecke sich unbegrenzt und flexibel auf die gesamte Weltgesellschaft und sei geprägt durch die zunehmende Ununterscheidbarkeit von universalistischen Rechtsansprüchen und interessierter Machtpolitik. Dabei komme den USA aufgrund ihrer auf Offenheit und Expansion angelegten Verfassung eine besondere Rolle zu. Denn sie betreibe inzwischen keine imperialistische, sondern eine imperiale Politik. Die globale Verfassung der heutigen Welt entspreche antiken Modellen dreifach gestufter politischer Körperschaften: Während das monarchische Element die Einheit und Kontinuität der Macht garantiere, gehe es beim aristokratischen Element ebenso um Prinzipien der Gerechtigkeit wie der politischen Angemessenheit – und das demokratische Element sei besorgt um Prinzipien der Verteilung von Macht und Gütern. In der so gesehenen Pyramide der Weltgesellschaft übernimmt die militärische Supermacht der USA die Rolle der Exekutive. Und die Grünen? Sie haben mit ihrem neuen Grundsatzprogramm den empirischen Beweis für diese bisher hoch spekulative These geliefert.
Ende des 18. Jahrhunderts publizierte der englische Historiker Edward Gibbon eine monumentale Studie über „Verfall und Untergang des Römischen Reiches“, die auch eine Reflexion zum Aufstieg Roms enthält. Dieser Plan „wurde versucht, ausgeführt und die beständige Verletzung der Gerechtigkeit durch die politischen Tugenden der Klugheit und des Mutes verteidigt“. Eben diese Verletzung der Gerechtigkeit durch Klugheit, gewiss nicht durch Mut, war beim Parteitag der Grünen zu betrachten.
MICHA BRUMLIK
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