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Im Spiegel abgestürzt

Das Mysterium der 160 Zimmer: In der Galerie Laura Mars beschwört Tina Born, Spezialistin für labyrinthische Strukturen, den Geist von Mrs. Sarah Winchester, die mit Gewehren reich wurde

von RICHARD RABENSAAT

Lange müssen die Schüsse der „Gewehre, die den Westen eroberten“, im Kopf von Sarah Winchester nachgehallt sein. Um der Erinnerung an das Gewehr, dessen Konstruktion sie und ihren Mann reich machten, zu verdrängen, baute die vermögende Witwe ein Haus mit nicht weniger als 160 Zimmern. Als sie 1922 im Alter von 90 Jahren in San José, Kalifornien starb, hinterließ Sarah Winchester einen reichlich vertrackten Bau.

Dessen undurchschaubare Architektur mit allerlei geheimen Türen, Gucklöchern und doppelten Böden hat nichts von seiner Faszination verloren. Auch die Berliner Künstlerin Tina Born konnte sich als Stipendiatin in den USA nicht dem Sog des rätselhaften Gebäudes entziehen. In Berlin baute sie deshalb in der Galerie Laura Mars Grp „The mansion of Sarah Winchester“. Das „Podest mit integriertem Architekturmodell“ steht in der Mitte des Raumes. Die Struktur der Holzverschalung unterscheidet sich kaum vom Galeriefußboden. Bei der Eröffnung nutzen zahlreiche Besucher das Environment dann auch, durchaus im Sinne der Künstlerin, als Sitzgelegenheit.

So hatten die Gäste zudem einen besseren Einblick in das Spiegelkabinett im Innern. Dieses bildet das architektonische Muster der Galerie nach, inklusive der Fenster und der gegenwärtigen Videoinstallation. Der Blick in den Vexierspiegel allerdings verliert sich. Hinter den angedeuteten Fensterhöhlen verbirgt sich lediglich die Schwärze des Holzkastens. Ein eingebauter Minifernseher zeigt das Bild einer Frau, deren fliegendes Haar bei jeder Richtungsbewegung die Farbe wechselt. Das widergespiegelte Bild zerbricht im hermetischen Innenraum der Installation. Für die in ihren Innenwelten gefangene Sarah Winchester gab es kein Entkommen und auch Tina Born verschwindet in ihrem raffiniert ersonnenem Kabinett. Sie kroch, ausgerüstet mit einer Videokamera, in den viereckigen Kasten.

Der Film ist nun auf dem Fernseher im angrenzenden Galerieraum zu sehen. In dieser Weise korrespondierend, entfalten die beiden Elemente der Ausstellung einen sinnreichen Dialog. Während der Holzbau als handgreifliches Objekt einen fest umschlossenen Raum mit rätselhaftem Innenleben zeigt, verschwinden auf dem unscharfen Video die Konturen eben dieser gerade noch erahnten Innenwelt.

Das Mysterium der Örtlichkeit, die verborgenen Geschichten hinter der offensichtlichen Fassade waren häufig Thema von Tina Borns Arbeiten. Im Hollywood Roosevelt Hotel in Los Angeles erkundete sie zuerst die Zimmerausstattung der verrottenen Nobelherberge mit der Kamera. Dann unternahm sie waghalsige Klettertouren auf das Nachttischlampenregal und verschwand anschließend in einem Sperrholzschrank, auf dem der Zimmerfernseher stand. Als sie den Film dann Freunden im Hotelzimmer präsentierte, nahmen diese die Einzelheiten des an sich bekannten Raumes zum ersten Mal wirklich wahr. Dazu gehörten auch Aquarellbilder von mit schwarzer Farbe gemalten Palmen, die der Installation ihren Namen gaben: „Black Palms“. Ein emsiger Auftragsmaler hatte für die Ausstattung der Hotelzimmer mit nahezu 5.000 gleichartigen Originalgemälden gesorgt.

Tina Born: „The mansion of Sarah Winchester“. Laura Mars Grp, Sorauer Str. 3, 10997 Berlin, Mo–Fr 12–18 Uhr

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