: Globale Welt um 1913
Der Künstler auf einer „medizinisch-demographischen Expedition“ des Reichskolonialamts Berlin nach Deutsch-Neuguinea: „Emil Nolde und die Südsee“ in der Hypo-Kunsthalle München erweist sich von Anbeginn als Aufbruch in eine unheile Welt
von WALTER KITTEL
Als Emil Nolde im Oktober 1913 in die Südsee aufbricht, reist er weder als malender Abenteurer noch als inspirierter Paradiessucher zu den fernen Inseln. Mit beiden verbindet Nolde dennoch etwas. Ihn treibt die Sehnsucht und er scheut keine Gefahr beim Aufspüren der Reste einer verschwindenden „Urvolkskultur“. Durch Teilnahme an einer „medizinisch-demographischen Expedition“ des Reichskolonialamtes Berlin nach Deutsch-Neuguinea, ist der Künstler jedoch nicht ganz ungebunden. Er schreibt hierzu: „Das ‚Demographische‘, die Erforschung der rassischen Eigentümlichkeiten der Bevölkerung, war meine freie und besondere Aufgabe.“
Nolde lässt sich auf ein zwiespältiges Unternehmen ein. Im Berliner Völkerkundemuseum lernte er die Kunst der Eingeborenen kennen, wovon er fasziniert war, wie so viele nach Befreiung und Modernität strebende junge Künstler. Das Gefühl, in den Masken und hölzernen Figuren etwas Kraftvolles, Unverbildetes zu entdecken, löste wohl das bei Nolde um 1910 einsetzende Interesse aus. Zahlreiche geheimnisvolle Stillleben entstehen, in denen die Kultgegenstände zu mythologisch rätselhaften Gruppen angeordnet werden. Auf der Südseereise wird Nolde hingegen fast nur noch Menschen darstellen. Neben einigen großartigen, farbintensiven Landschaftsbildern, zahlreichen Skizzen und Pflanzenstudien malt Nolde hauptsächlich Dorf- und Strandszenen, sowie eine Serie Porträts von Eingeborenen. 50 dieser ethnologisch detailgenauen Arbeiten verkauft er dem Reichskolonialamt.
Nolde verdient sich so einen Teil der hohen Reisekosten. Zu der kleinen Expeditionsgruppe gehören auch Ada Nolde, die Frau des Malers, der befreundete Göttinger Augenarzt Alfred Leber sowie die Nichte des Berliner Kunstsammlers und Mäzens Eduard Arnhold, welcher ebenfalls zu den Reisekosten beiträgt. Erklärtes Ziel der Expedition ist die Erforschung des Bevölkerungsrückgangs in der deutschen Kolonie. Den Farmern gehen durch Krankheiten unter den Eingeborenen zu viele Arbeitskräfte verloren. Nolde wird immer wieder Zeuge von gebrochenen, ihrer Würde beraubten Menschen („schlaff und missmutig wie entwurzelte Pflanzen“). Verschiedenste Äußerungen belegen seine Abscheu gegenüber der kolonialen Ausbeutung und die Verachtung für ein „zweifelhaftes, geschlechtskrankes Europäergesindel“, welches so viel Schaden angerichtet hat. Auch der Ausverkauf von Stammeskunst an Sammler und Museen in aller Welt schmerzt ihn. Zugleich muss Nolde erfahren, wie sehr sein eigener Aufenthalt von den Ureinwohnern missbilligt wird. Es kommt immer wieder zu gefährlichen Situationen. Zahlreiche der scheinbar so weich dahinfließenden Aquarelle entstehen unter dem Eindruck der Bedrohung: „Zur Rechten neben mir lag der angespannte Revolver und hinter mir stand, den Rücken deckend, meine Frau mit dem ihrigen, ebenfalls entsichert“, beschreibt er rückblickend die Szene. Beim Rundgang durch die Münchner Ausstellung ist den Bildern nichts von der beklemmenden Atmosphäre anzumerken, in der sie wohl entstanden sind. Allerdings wirken manche Skizzen flüchtig, was eine gewisse Unruhe erkennen läßt. Zahlreiche Motive von Müttern, Kindern und Menschen bei der Arbeit zeigen das Geschehen distanziert. Noldes Beobachtungen fanden aber auch aus unmittelbarer Nähe statt, wenn er mit dem Tropenarzt Professor Külz unterwegs war, zu dessen Aufgaben die Befragung von Eingeborenen gehörte. Solche Untersuchungen zum Gesundheitszustand der Bevölkerung nutzte Nolde zum Zeichnen. Bei den anstrengenden Exkursionen und Ausflügen entstanden die kleineren Aquarelle und Skizzen.
Sämtliche 19 Leinwandbilder aus der Südsee malte Nolde innerhalb weniger Wochen, zurückgezogen, im Schutz eines improvisierten Ateliers. Ihm wurde ein gerade errichtetes Arresthaus zur Verfügung gestellt, in dem er Ruhe fand und im Frühjahr 1914 für Freunde eine Ausstellung eröffnete. Elf Bilder aus dieser Zeit sind in München zu sehen. In der glühend roten Tropensonne, die Himmel und Meer färbt, mag auch eine Anspielung auf blutiges Gebaren in den Kolonien liegen. Doch Nolde vermeidet es, die ganze Realität zu zeigen. Er sucht das Ursprüngliche und nicht die Veränderungen. Was ihn stört, sind die „europäischen Zutaten“. Ein Wilder mit „Hut und Schirm und Hose“ wirkt auf ihn „abscheulich, dienerisch und falsch“. Als Motiv ist er damit ungeeignet. Unverfälschtheit findet der norddeutsche Maler hingegen in den halb entblößten braunen Körpern mit ihren grellfarbigen Schurzen, den Hautbemalungen, Blumen im Haar oder aus dem Dunkel aufblinkendem Schmuck. Ursprünglich sind auch die individuellen Gesichtszüge, der Ausdruck und Blick, ob er nun naiv oder kriegerisch stolz ist. Ganz sicher aber nicht ursprünglich sind Vermischungen von Zeugnissen der Kolonialmacht mit denen der Eingeborenenkultur. Nur ein Aquarell in der Ausstellung weicht von dieser ausblendenden Sichtweise ab, es trägt den Titel „Im Spital“. Eine blonde Krankenschwester hockt neben der halb auf dem Boden ausgestreckten schwarzen Frau. Nolde wird diese Skizze allerdings nicht in Öl malen, wie es mit anderen Vorlagen später geschah. Ein großer Teil der in München gezeigten Bilder von Stränden und Inselbewohnern entstand erst, nachdem die Noldes wieder in Deutschland waren.
Auf der Rückreise überrascht sie der Krieg. Ihr Gepäck wird beschlagnahmt, sämtliche Bilder müssen als verloren gelten. Nur ein Teil der Aquarelle kann gerettet werden sowie vereinzelte Arbeiten, die vorweg nach Deutschland geschickt wurden. In Port Said gelingt es den Noldes, auf ein holländisches Schiff zu wechseln, und sie kommen wohlbehalten nach Hause. Im Glauben, einen großen Teil der Arbeiten verloren zu haben, beginnt Nolde nun erneut tropische Strände und Eingeborene zu malen. Erst sieben Jahre später werden in England die Koffer wiedergefunden und Nolde erhält sie zurück.
In der Ausstellung befinden sich auch Motive von tief in ihren Pelz verhüllten Menschen. Fragt man nach deren Herkunft, stößt man auf die Geschichte der weiten Anreise durch Russland. Sie war gefährlich, weshalb die Fahrten stets von Bewaffneten begleitet wurden. In seinen Reiseerinnerungen registriert Nolde solche Einzelheiten aufmerksam. Doch vor dem Zeichenblock scheint er all das zu vergessen. Noldes Aufbruch zu der „unbeschreiblich schönen, wilden Südseereise“ führte von Anbeginn in keine heile Welt.
Bis 26. Mai, Hypo-Kunsthalle München, Katalog 25 €
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