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Stilvoll radeln, genüsslich feiern

Der siegreiche Cipollini zieht bei Mailand–San Remo einen Dorn aus dem Fleisch und Zabel rastlos weiter

SAN REMO taz ■ Lange, lange ließ Mario Cipollini am Samstagabend die internationale Presse warten, bis er in einem Kino in der Innenstadt des Rivierabades San Remo Rede und Antwort stand. Der Toskaner mit den klassischen Gesichtszügen, den seine Fans nach dem Wappentier der Medici König der Löwen nennen, hatte gerade das bedeutendste italienische Eintagesrennen gewonnen. Und so einer beeilt sich für nichts und niemanden.

Erik Zabel hatte es unterdessen eilig. Dreieinhalb Minuten nach Mario Cipollini war Zabel, der hier, beim Auftakt derWeltcupsaison in den vergangenen fünf Jahren vier Mal gesiegt hatte, ins Ziel gekommen. Unbemerkt von den ausgelassen auf der Via Roma, der Flaniermeile des mondänen Ferienortes, feiernden Fans entschlüpfte er in eine Pension in einer Seitengasse und verschloss sich erst einmal für eine halbe Stunde mit seinem Masseur. Dann gab er einige kurze Erklärungen ab und fuhr von dannen, ab zum nächsten Rennen.

In knappen Sätzen und mit nur mühsam verhüllter Enttäuschung resümierte Zabel dasPech, das er und seine Mannschaftskameraden in der entscheidenden Phase des Rennens hatten. Im nervösen Gedränge in Imperia, 20 km vor dem Ziel, war ein Konkurrent Zabel von hinten ins Rad gefahren, der Weltranglistenerste stürzte, sein Rad erlitt Totalschaden. Zwar wartete Mannschaftskollege Steffen Wesemann, bis sein Kapitän ein Ersatzrad bekam, doch das Unterfangen, bei dem starken Gegenwind wiederAnschluss zu finden, war aussichtslos.

Immerhin vermochte Erik Zabel sein Missgeschick als viel versprechendes Omen für die im April anstehenden Klassiker in Belgien und Nordfrankreich umzudeuten. Dort, bei der Flandern-Rundfahrt und bei Paris–Roubaix, konnte er im Gegensatz zu Mailand–San Remo noch nie gewinnen, aber: „In diesem Jahr scheint ja einiges anders zu laufen als sonst.“

Mario Cipollini wollte noch nicht an weitere Rennen denken: „Dazu tun mir die Beine noch viel zu weh.“ Außerdem, sagte der Italiener, sei er kein Mann wie Zabel, der rastlos von einem Rennen zum nächsten hetzt. „Einen solchen Triumph zu erzielen, das ist so, als bekäme man ein Kind. Das ist ein einmaliger Augenblick und den muss man wirken lassen. Da darf man nicht gleich wieder arbeiten.“ Mit 168 Karrieresiegen ist Cipollini der erfolgreichste Fahrer seiner Generation, doch dass er bei Mailand–San Remo noch nie hatte triumphieren können, das saß ihm wie ein Dorn im Fleisch. Nach 13 erfolglosen Teilnahmen begann Cipollinis Hoffnung langsam zu schwinden.

Der zweite Platz hinter Zabel im vergangenen Jahr gab Cipollini das Vertrauen, dass er es würde packen können: „Das war nicht weit weg vom Sieg.“ So trainierte er härter denn je, um als Spurt-Spezialist mit den Schnellsten über die beiden Berge, die Cipressa und den Poggio kurz vor San Remo zu kommen. Außerdem hatte Mario Cipollini das Glück, dass der Kosmetikhersteller Acqua e Sapone (Wasser und Seife) bereit war, eine neue Squadra um ihn herum aufzubauen, die ganz auf den „Rei Leone“ zugeschneidert ist.

Mit dabei ist Giovanni Lombardi, der bislang bei Telekom für Zabel Sprints vorbereitet hatte. Im diesjährigen Finale von San Remo war er Cipollinis wichtigster Mann. So wie im vergangenen Jahr der ehemalige Adjutant von Cipollini, Gianmatteo Fagnini, Zabels wertvollster Assistent war. Sicherlich mehr als nur eine kleine Genugtuung für den Italiener, der in der Rivalität der beiden großen Künstler des Sprints nun erst einmal wieder in Führung gegangen ist. Zabel hingegen tröstete sich ein wenig damit, dass wenigstens kein Namenloser seine Nachfolge in San Remo angetreten hatte: „Mario ist ein großer Rennfahrer.“ Sprach’s und machte sich auf und davon, während Cipollini mit Freunden nach Monte Carlo fuhr, um mit dem gebotenen Stil zu feiern. SEBASTIAN MOLL

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