: Holzmann auf dem Holzweg
Wortspielhölle Wirtschaftsteil: Wo die Poesie des Naheliegenden zu Hause ist
Topmanager haben es nicht leicht. Ihr Job verlangt ihnen alles ab. Termindruck, Konferenzstress und der Zwang, jeden Morgen die Krawatte zu wechseln, fordern nicht selten ihren Tribut und rufen die Künder des Kapitalismus vorzeitig von der Verkaufsfront. Zeit für Privatleben oder gar die Ausübung eines Hobbys bleibt da kaum. Schöngeistige Interessen müssen immer wieder den Zwängen des Berufslebens untergeordnet, ja, nicht selten dem Moloch Marktwirtschaft geopfert werden.
Welcher Manager kommt denn heutzutage noch dazu, im Morgenjet nach Frankfurt in Rilkes „Duineser Elegien“ zu blättern, wie viele Sales-Repräsentanten memorieren zwischen langweiligen Verkaufsbesprechungen Grünbein’sche Markenlyrik? Die knapp bemessene Zeit reicht ja kaum für die gründliche Lektüre der Tageszeitung …
Doch totaler Verzicht auf Poesie muss nicht sein, auch der Wirtschaftsteil hat seine lyrischen Seiten. Beispiele gefällig? „Am Nudelmarkt geben 3 Glocken den Ton an“, „Frohe Töne bei Saba“, „Rekord-Rauchzeichen bei den Austria Tabakwerken“.
Um den Schöngeistern in den Führungsetagen die oft staubtrockene Lektüre der unentbehrlichen Wirtschaftsnachrichten schmackhafter zu machen, verabreicht so manche lyrische Begabung unter den Wirtschaftsredakteuren den gehetzten Führungskräften ihr tägliches Headline-Bonbon. „Bitburger führt Wernesgrüner vor den Braualtar“ – mit solch wortspielgeschwängerter Überschrift wird noch die schärfste Übernahmeschlacht ins goldene Licht beschützender Fürsorge getaucht.
Die folgenden Beispiele mögen belegen, mit welch geballter Metaphernkraft der viel gescholtene deutsche Manager zur Sicherung des Wirtschaftsstandorts beflügelt wird: „Bei Schneegestöber geht für Rud-Ketten die Sonne auf“. Hier weitet sich der Horizont hinter dem Alpenpanorama, die Sonne bricht durch und lässt die, gewiss viel versprechende Bilanz im hellsten Licht erglänzen. Übrigens – auch „Osram hat gut strahlen“ und „Photo Porst ist glänzend im Bilde“.
Viel zu selten nimmt sich die Führungskraft Zeit, dem Menschlich-Allzumenschlichen des Unternehmerschicksals nachzuspüren: da balanciert ein „Irischer Fleischbaron auf Messers Schneide“, oder es wird der „Chef in Schweizer Waffenschmiede abgeschossen“ …
Man könnte verzweifeln, gäbe es nicht noch die alten Tugenden des Wettbewerbs, unternehmerische Tatkraft und Zuversicht: „Heidelberger Druck schwärzt neue Tochter ein“, „Der Traktorenmarkt wird umgepflügt“, „Gillette will bald die Russen rasieren“ und „Stixi knabbert jetzt auch Sachsen an“ … Poetische Miniaturen von geschliffener Brillanz und kühnem Sprachwitz, wahre Preziosen deutscher Sprachkultur, die das zweifellos allzuoft eindimensional ausgerichtete Denken der Wirtschaftsbosse aufs Angenehmste zu erhöhen vermögen. Bei der „Gaswirtschaft stimmen die Kohlen“ – so manches schelmisch wortspielerische Bonmot wird bei der nächsten Rede vor der Industrie- und Handelskammer ein beifälliges Schmunzeln ernten.
Doch Pleitegeier und Konkursbussard kreisen schon über der nächsten Insolvenz: „Wüstenrot sieht eher grau“, lautet die trostlose Prognose. „Iberia-Gewinn im Sturzflug“, „Chrysler kriselt“, Beim Gewinn erlebt „Goodyear einen Plattfuß“, „Hohner noch nicht aus den Dissonanzen“, „Schimmel-Pianos auf Moll gestimmt“, „Holzmann endgültig auf dem Holzweg“. Und wie könnte man das Kirch-Desaster in den Griff kriegen? „Kirch völlig von der Filmrolle“, „Totaler Filmriss bei Kirch“ oder „Papst Leo verlässt die sinkende Kirch(e)“ – demnächst in Ihrem Wirtschaftsteil. RÜDIGER KIND
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