: Still wanted: Polizeichef
Die Fahndung nach einem neuen Polizeipräsidenten läuft seit sechs Monaten. Doch weder Vize-Chef Neubeck noch der Ex-Bonner Kniesel genügen Rot-Rot. Nun werden neue Bewerber gesichtet
von PLUTONIA PLARRE
Die rot-rote Landesregierung hat die einmalige Chance, einen Polizeipräsidenten wählen zu können – und tut sich damit denkbar schwer. Die Hoffnung, dass der oder die Neue die Amtsgeschäfte noch vor dem 1. Mai aufnehmen werde, hat man sich längst abgeschminkt. Auch am 21./22. Mai, wenn die Polizei anlässlich des Besuches von US-Päsident George W. Bush vor dem nächsten Großeinsatz steht, wird der seit einem halben Jahr vakante Chefposten im Polizeipräsidium vermutlich immer noch nicht besetzt sein.
Der von der Polizeibehörde und den Gewerkschaften favorisierte Vizepräsident Gerd Neubeck, der seit dem Herbst kommissarisch die Amtsgeschäfte leitet, stößt in der SPD-Parteispitze auf Ablehnung. Der Grund: Der frühere Oberstaatsanwalt aus Nürnberg – parteilos, aber konservativ – gilt als CDU-Mann. Denn im Frühjahr 2000 ist er vom damaligen CDU-Innensenator Eckart Werthebach mit dem Versprechen auf höhere Ämter als Vizepräsident an die Spree geholt worden. Aber auch auf den als liberal eingestuften früheren Polizeipräsident von Bonn, Michael Kniesel (SPD), möchten sich die rot-roten Koalitionäre nicht festlegen. Weitere Bewerber wurden bereits unter „ferner liefen“ abgebucht.
Die Not, einen geeigneten Kandidaten zu finden, ist offenbar so groß, dass sogar das Bewerbungsverfahren wieder aufgerollt worden ist. Nach taz-Informationen werden in der Innenverwaltung zurzeit neue Bewerbungen aus dem gesamten Bundesgebiet ausgewertet. Die Sprecherin der Innenverwaltung, Henrieke Morgenstern, sagte dazu nur ganz allgemein: „Bewerbungen sind jederzeit möglich, solange noch keine Entscheidung getroffen ist.“ Mit einer Entscheidung sei „in den nächsten Wochen zu rechnen“.
Mit Neubeck auf Nummer Sicher gehen, der Polizei mit Kniesel ein Kuckucksei ins Nest legen oder auf den Wunschprinzen hoffen? SPD und PDS sind in der Frage unentschieden. Auch Innensenator Erhart Körting habe sich noch nicht festgelegt, heißt es. Für den 51-jährigen Neubeck spreche, dass er von der Polizei in seltener Einmütigkeit als Chef gewollt werde. Zugute gehalten werden ihm seine Behördenkenntnisse, der Erfolg bei der Verwaltungsreform, seine ruhige, umgängliche Art und die Eigenschaft, zuhören zu können. Durch Sparmaßnahmen seien die Institutionen schon genug gebeutelt, verlautet aus SPD und PDS. Neubeck könne die Reformen voranbringen, ohne zusätzliche Unruhe in die Behörde zu bringen.
Negativ ins Gewicht fällt allerdings, dass Neubeck ein Konservativer ist. Ende vergangenen Jahres, als noch nicht absehbar war, wer die Stadt regieren würde, sprach er sich für eine gezielte Videoüberwachung auf öffentlichen Plätzen aus – eine alte CDU-Forderung. Auch das Verbot der vorjährigen 1.-Mai-Demonstration hat er gutgeheißen: Das sei etwas Neues gewesen. „Und nun sollte man Geduld haben und dieses Konzept vielleicht mal ein paar Jahre probieren.“ Der gebürtige Franke hält auch nichts von einer Entkriminalisierung des Drogenkonsums: Drogen müssten „geächtet“ und die Menschen „anders“ vom Heroin weggebracht werden. Daher sei zu befürchten, dass sich Neubeck als Hardliner entpuppe, wenn die Konservativen einmal wieder an die Regierung kämen, bringen Bedenkenträger vor.
Die Gefahr besteht bei Kniesel nicht. Der 56-Jährige war von 1988 bis 1993 Polizeipräsident in Bonn. Danach wechselte er als Innenstaatssekretär nach Bremen, wurde vom dortigen FDP-Innensenator aber nach acht Monaten in den einstweiligen Ruhestand geschickt. Kniesel sei ein „Viertagesstaatsrat“ gewesen, soll heißen, er war faul, wurde damals von bösen Zungen behauptet. Andere sagen, er sei wegen seiner aufgeklärten Haltung in Drogenfragen angeeckt und weil er den aufgeblähten Bremer Polizeiapparat eindampfen wollte. Seinen Ruf als liberaler Polizeichef hatte sich Kniesel 1993 in Bonn erworben, als der Bundestag den so genannten Asylkompromiss verabschiedete. Seine Taktik, die Abgeordneten mit Hubschraubern und Schiffen an einer Demonstrationsblockade vorbei in den Bundestag zu schleusen, war von links als deeskalierend gelobt und von rechts als zu lasch verrissen worden.
Gegen Kniesel spricht, dass er lange keine Praxiserfahrung mehr hat. Der in Königswinter am Rhein beheimatete Jurist leitet seit vier Jahren als Vorstandsmitglied eine Aktiengesellschaft im Entsorgungsbereich. Weil der Vertrag in Kürze ausläuft, sucht er etwas Neues. In der Berliner Polizei wird über den Kandidaten schon geunkt: „Die Bonner Polizei ist nicht mal so groß wie die kleinste Berliner Direktion.“ Auch dass der Verfasser eines Lehrbuchs zum Versammlungsrecht und eines Handbuchs für Polizeiführungskräfte als der große Deeskalierer gepriesen wird, passt so manchem nicht: „Als wenn wir hier keine Deeskalation fahren würden.“
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